Es erscheint zumindest fragwürdig, ob der Pflegebedarf in diesem Altersbereich so stark gestiegen sein kann oder ob dies nicht vielmehr durch eine erhöhte Inanspruchnahme der SPV nach Einführung des PSG II zu erklären ist. Bei Kindern ist die besondere Situation, dass jedes Kleinkind auf die Fürsorge und Pflege seiner Eltern angewiesen ist. Die Feststellung eines zusätzlichen Bedarfs, der durch Pflegebedürftigkeit verursacht wird, ist in diesen jungen Altersgruppen generell schwieriger.
Was können Politik und Versicherungswirtschaft tun?
Der Anstieg der Beitragssätze bei gleichzeitigem Zuwachs des Eigenanteils an den Pflegekosten zeigen zusammen mit der demografischen Entwicklung in Deutschland den finanziellen Druck, unter dem die Pflegeversicherung steht. Die Politik hat hier verschiedene Stellschrauben, die die zukünftige Entwicklung der Pflegeversicherung mitprägen werden. Dazu gehören beispielsweise
- die Frage, welchen Anteil der Pflegeleistungen die Pflegepflichtversicherung zukünftig tragen soll,
- die Diskussion zur Finanzierung von versicherungsfremden Ausgaben, u. a. während der Corona-Pandemie,16
- sowie die Frage, ob der aktuelle Pflegebedürftigkeitsbegriff unverändert bestehen bleiben kann.
Aber auch die Prävention ist ein wichtiges Element. Wenn es zukünftig weniger Pflegebedürftige geben soll, müssen wir Anreize schaffen, damit Menschen auch im Alter körperlich aktiv, geistig gefordert und sozial eingebunden sind und sich gesund ernähren.17 Hierzu kann auch die Versicherungswirtschaft ihren Beitrag leisten. Es gibt in anderen Ländern bereits Lebensversicherungen, bei denen die körperliche Aktivität ihrer Versicherten mit einem geringeren Beitrag belohnt wird. Die Unterstützung durch Smart Watches mit einer Standortbestimmung kann zudem helfen, wenn bei Älteren die räumliche Orientierung nachlässt. Pflegebedürftige behalten ihre Bewegungsfreiheit länger, wenn sie im Zweifel schnell gefunden und nach Hause gebracht werden können, als wenn sie das Haus gar nicht mehr verlassen. Auch beim Aufbau einer Gemeinschaft, die sozialen Austausch ermöglicht, können Versicherungskollektive beitragen, ob durch Challenges oder gezielte Austauschmöglichkeiten in der Gruppe. Es ist wichtig, bei diesen Ideen sowohl auf den Datenschutz als auch auf die Besonderheiten von Personen mit einer zunehmenden Anzahl an körperlichen, kognitiven und psychischen Einschränkungen zu achten – dennoch wäre es bedauerlich, die Möglichkeiten der Digitalisierung bei dieser Zielgruppe außer Acht zu lassen.
Als Versicherungswirtschaft sollten wir uns zudem fragen, warum es bisher nicht gelungen ist, mehr Personen dazu zu bewegen, mit einer freiwilligen Pflegezusatzversicherung zusätzlichen Schutz aufzubauen. Bisherige Produkte wie ein Pflegetagegeld oder eine Pflegerente können eine lange Ansparphase – teilweise über Jahrzehnte hinweg – beinhalten, die nicht für jeden Kunden attraktiv ist. Es gibt Ideen, die diesen Nachteil vermeiden oder reduzieren:
- In Großbritannien gibt es Produkte, die darauf reagieren, indem sofort beginnende Pflegerenten bei Pflegeheimeintritt angeboten werden. Die Produkte erfordern einen entsprechend hohen Einmalbeitrag und stellen sicher, dass auch bei einem überdurchschnittlich langen Heimaufenthalt die Finanzierungsmöglichkeiten nicht erschöpft sind.
- Für Asien – wo noch stärker auf die Familienmitglieder als auf professionelle (externe) Pflege gesetzt wird – entwickeln wir Lösungen, die erst dann greifen, wenn die eigenen Kinder als Pflegekräfte ausfallen. Diese Versicherungsprodukte stellen eine Notfallabsicherung dar, die professionelle Pflege dann finanziert, wenn sie erforderlich ist.
Beide Produktvarianten eint, dass der starke Anspareffekt einer klassischen Pflegerente oder Pflegetagegeldversicherung hier nicht oder kaum auftritt, wodurch neue Zielgruppen angesprochen werden können.
Die Pflegeversicherung hat in ihren 30 Jahren einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Menschen in Würde und ohne finanzielle Not altern können. Es liegt an uns – unseren Politikern, der Gesellschaft und auch der Versicherungswirtschaft – sicherzustellen, dass dies auch in den kommenden 30 Jahren gelingt.