Möchten Sie künftige Ausgaben sofort nach Erscheinen erhalten? Abonnieren Sie hier unseren kostenlosen elektronischen Newsletter.
Ausgabe von August 2022
Deutschland – Germanwings-Hinterbliebene erhalten kein Schmerzensgeld von der Lufthansa
Mit Urteil vom 30. Juni 2022 hat das Landgericht (LG) Frankfurt am Main einen Schmerzensgeldanspruch der Hinterbliebenen der Germanwings-Opfer jedenfalls gegen die Konzernmutter Lufthansa abgelehnt (LG Frankfurt a. M., Urt. v. 30.6.2022, Az.: 2‑24 O 109/19). Es wies mehrere Klagen ab, mit welchen die Verantwortlichkeit der Lufthansa für den durch einen psychisch kranken Co‑Piloten verursachten Absturz in den französischen Alpen festgestellt werden sollte.
Bei dem Unglück am 24. März 2014 hatte der – wie sich später herausstellte unter Depressionen leidende – Co‑Pilot die Maschine absichtlich gegen einen Berg gesteuert, wobei alle 150 Insassen ums Leben kamen. Die Kläger hatten vor dem LG Frankfurt jeweils EUR 40.000 für die von ihnen selbst erlittenen Beeinträchtigungen, zudem als Erben pro Todesfall EUR 25.000 für die in den Minuten vor dem Absturz erlittene Todesangst der Angehörigen verlangt. Sie argumentierten, dass die Katastrophe bei genaueren Untersuchungen der psychischen Verfassung der Crewmitglieder hätte verhindert werden können, wofür die Lufthansa als Betreiberin des flugmedizinischen Zentrums verantwortlich gewesen sei, das dem Co‑Piloten die Flugtauglichkeit attestiert hatte.
Das LG Frankfurt sah die flugmedizinischen Sachverständigen bei den entsprechenden Tauglichkeitsuntersuchungen hingegen in Ausübung eines öffentlichen Amtes handelnd. Mithin könne nur der Staat oder die Körperschaft haften, in dessen Dienst die Ärzte standen. Die Flugsicherheit sei eine durch das Luftfahrtbundesamt wahrgenommene staatliche Aufgabe und die Fliegerärzte unabhängig und weisungsfrei, sodass die Lufthansa weder Zugang noch Überwachungsmöglichkeiten habe. Der Vorwurf eines Organisationsversagens scheide damit aus.
Ähnlich und mit gleichem Ausgang hatten 2020 bereits das Landgericht Essen (LG Essen, Urt. v. 1.7.2020, Az.: 16 O 11/18) und im April 2021 auch das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm, Urt. v. 14.9.2021 – 27 U 84/20) argumentiert. Das Frankfurter Urteil ist nicht rechtskräftig und kann mit der Berufung zum OLG Frankfurt angefochten werden. Ein Klägeranwalt kündigte bereits eine Klage gegen den Staat an.
Deutschland – Deutsche Bahn muss Anreden in ihrem Angebot auch für nicht-binäre Personen vorsehen
Das OLG Frankfurt am Main hat in seinem Urteil vom 21. Juni 2022 entschieden, dass die Vertriebstochter der Deutschen Bahn verpflichtet ist, die Nutzung ihrer Angebote auch für Personen nicht-binären Geschlechts zu ermöglichen und die damit einhergehende Diskriminierung zu unterlassen (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 21.6.2022, Az.: 9 U 92/20).
Die klagende Person wurde als Inhaberin einer BahnCard in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert und auch bei der Nutzung von Angeboten wie dem online Ticket-Kauf war zwingend zwischen der Anrede „Herr“ oder „Frau“ zu wählen. Die klagende Person forderte wegen der damit einhergehenden Diskriminierung Unterlassung sowie Entschädigung in Höhe von EUR 5.000 von der Beklagten.
In der Berufung verpflichtete das OLG Frankfurt am Main die Vertriebstochter der Deutschen Bahn dazu, dies als unmittelbare Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität (§§ 3, 19 AGG) bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr ab dem 1. Januar 2023 zu unterlassen. Bezüglich der individuell an bestimmte Personen erfolgenden Ausstellung von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherter personenbezogener Daten gilt das Unterlassungsgebot wegen einfacher technischer Realisierbarkeit und zumutbarem finanziellen und personellen Aufwand sofort. Zudem hat das Unternehmen wegen der Verletzung des Benachteiligungsgebots und dem dadurch entstandenen immateriellen Schaden an die klagende Person eine Entschädigung von EUR 1.000 zu zahlen. Die klagende Person erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, die zu deutlichen psychischen Belastungen geführt habe. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Ähnlich war Anfang des Jahres bereits ein Fall beim Onlineshopping entschieden worden: Im Fall des OLG Karlsruhe vom 10. Februar 2022, sah das Gericht in der lediglich bestehenden Auswahlmöglichkeit zwischen den Anreden „Frau“ und „Herr“ für eine Person nicht-binären Geschlechts ebenfalls einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und gleichzeitig eine Verletzung ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität, gestand ihr jedoch kein Schadensersatz zu (OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.12.2021, Az.: 24 U 19/21).
Europa – Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2022 veröffentlicht
Am 29. Juni hat die Europäische Kommission die bereits lange erwartete Aktualisierung des „Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2022 („Blue Guide“)“ als maßgebliches Dokument für die Auslegung der zahlreichen EU‑Rechtsvorschriften zur Produktkonformität veröffentlicht.
Der Blue Guide wird trotz seiner rechtlichen Unverbindlichkeit seit dem Jahr 2000 als Standarddokument zur Interpretation und einheitlichen Anwendung der europäischen Harmonisierungsvorschriften im gesamten Binnenmarkt genutzt und bietet nationalen Behörden und Wirtschaftsakteuren wichtige Hilfestellungen bei der Auslegung und Umsetzung der einschlägigen Vorschriften. Letztmalig war er im Jahr 2016 aktualisiert worden.
Die nun erfolgte grundlegende Überarbeitung lässt Grundstruktur und Schlüsselkonzepte, die den EU‑Vorschriften zur Produktkonformität zugrunde liegen, unverändert. Sie berücksichtigt aber die jüngsten Änderungen in der Gesetzgebung, insbesondere die mit der seit dem 16. Juli 2021 geltenden Marktüberwachungsverordnung (Verordnung (EU) 2019/1020) eingeführten neuen Vorschriften, mit denen die behördliche Marktüberwachung für Non-Food Produkte EU‑weit harmonisiert wurden. Zudem enthält sie wichtige neue Anleitungen zur Anwendung der EU‑Produktvorschriften auf den elektronischen Handel, auf Erfüllungsdienstleister (FSP) und auf Software.
Daneben finden sich in der Neufassung u. a. Erläuterungen zu wesentlichen Begriffen der europäischen Produktvorschriften, beispielsweise erstmalig zum im EU‑Produktrecht wichtigen, aber bislang nicht legaldefinierten Begriff des „Endnutzers“ oder zum sog. Fulfillment-Dienstleister.
Enthalten sind aber auch Informationen zu den rechtlichen Auswirkungen des „Brexit“, u. a. auch zum seit dem 1. Januar 2021 vorläufig anwendbaren Handels- und Kooperationsabkommen (Trade and Cooperation Agreement, TCA).
Vereinigtes Königreich – Vorerst keine inhaltliche Entscheidung zur Auslegung des Begriffs des „klagbaren Schadens“ bei Asbestexposition
Am 20. Mai 2022 erging in der Rechtssache Brooks vs. Zurich vs. Aviva zunächst ein den Anspruch des Klägers auf Schadensersatz gemäß den Bestimmungen des Gesetzes über Rechte Dritter gegen Versicherer (TP(RAI)A 2010) abweisendes Urteil (Brooks v Zurich v Aviva [2022] EWHC 1170 (QB)).
Der als Grundlage dafür dienende, am 1. August 2016 in Kraft getretene, Third Parties (Rights against Insurers) Act 2010 sollte die Zeit für komplexe Rechtsstreitigkeiten unter Beteiligung eines insolventen oder aufgelösten Unternehmens erheblich verkürzen und damit eine der Hürden für Kläger in Asbestsachen abbauen, die daraus resultierte, dass durch die lange Latenzzeit von Asbest-Exposition bis zur eigentlichen Erkrankung viele der ehemaligen Arbeitgeber nicht mehr existierten, und für ein Klageverfahren aufgrund der aus der Asbest-Exposition resultierenden Schäden erst wieder aufwändig juristisch fingiert wiederhergestellt werden mussten.
Geklagt hatte im konkreten Fall ein Geschädigter, der nach behaupteter früherer Asbestexposition bei seinen Arbeitgebern im März 2020 Symptome entwickelt hatte. Im April 2021 wurde bei ihm ein Weichteiltumor (sog. Mesotheliom) diagnostiziert. Da die beiden Arbeitgeberunternehmen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existent waren, wurden Ansprüche gegen die Versicherer nach dem Third Parties Act geltend gemacht. Danach muss ein „einklagbarer Schaden“ durch eine Asbest-Erkrankung jedoch bis zum 1. August 2016 vorliegen.
Der Geschädigte argumentierte, dass die Entstehung des Tumors, so wie er sich nach Abschluss der Anamnese 2021 darstellte, trotz der Entdeckung erst zu diesem Zeitpunkt bereits vor dem 1. August 2016 gewesen sein musste. Damit habe allein durch das Vorhandensein des Tumors zum maßgeblichen Datum bereits ein klagbarer Schaden vorgelegen und daher sei der Third Parties Act 2010 anwendbar.
Der Richter wies einen Anspruch des Klägers zurück. Es sei nach gegebener Tatsachenlage nicht sicher ermittelbar, wann sich der Tumor gebildet habe, und daher auch keine Entscheidung darüber möglich, ob in einem solch frühen Stadium eines Tumors bereits eine für einen „klagbaren Schaden“ ausreichende körperliche Veränderung oder Verletzung gesehen werden könne.
Mithin ist zunächst die medizinische Historie der Entwicklung des Mesothelioms genauer abzuklären, bis ein endgültiges Urteil über das (Nicht‑) Bestehen eines entsprechenden Anspruchs des Klägers gefällt werden kann. Sollte das Gericht dann entscheiden, dass das Datum eines einklagbaren Schadens mit dem Datum der Entstehung eines Tumors gleichzusetzen ist, könnte dies weitreichende Folgen für Versicherer haben.
Ausgabe von Mai 2022
Europäische Union – EuGH erklärt Höchstgrenzen für Anwaltshonorare für unionsrechtskonform
Am 7. April 2022 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die im Rahmen der Kostenfestsetzung nach einem Rechtsstreit wegen Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel eine Obergrenze für die der obsiegenden Partei zurückzuzahlenden Anwaltshonorare vorsieht (EuGH EL, TP gegen Caixabank SA, Urteil vom 7. April 2022 (C-385/20). Damit verstößt es nicht grundsätzlich gegen die Richtlinie, wenn einem Verbraucher, der in einem gerichtlichen Verfahren erfolgreich die Nichtigkeit von AGB geltend gemacht hat, von der unterlegenen Partei nicht das gesamte von ihm gezahlte Anwaltshonorar erstattet wird.
Der Kläger hatte vor spanischen Instanzgerichten gegen einzelne Bestimmungen eines Darlehensvertrags geklagt und vollumfänglich Recht bekommen. Der entsprechende Kostenfestsetzungsbeschluss beinhaltete in Übereinstimmung mit dem nationalen Recht jedoch mittels Pauschaltariffestsetzung eine Obergrenze für die Erstattung von Anwaltshonoraren, bis zu der ihm die für die Rechtsdurchsetzung entstandenen Kosten zurückerstattet werden sollten. Damit legte der Kostenfestsetzungsbeschluss dem Kläger selbst einen Teil der von ihm gezahlten Anwaltskosten auf.
Nach den Feststellungen des EuGH steht Unionsrecht nationalen Regelungen, nach denen ein solcher Kostenfestsetzungsbeschuss zulässig ist, allerdings nicht entgegen. Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG seien auch unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes dahingehend auszulegen, dass dem in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit von AGB obsiegenden Verbraucher die ihm entstandenen Beträge zwar grundsätzlich erstattet werden müssen, allerdings nur bis zur Höhe eines Betrags, der angemessen und verhältnismäßig zu den Kosten sei, die der Kläger objektiv für die Erhebung einer solchen Klage aufwenden musste. Diesen Anforderungen sei im konkreten Fall allerdings – vorbehaltlich einer Prüfung des vorlegenden spanischen Gerichts – genügt worden.
Europäische Union – EU‑Kommission legt Vorschlag für eine neue Ökodesign-Verordnung vor
Am 30. März 2022 hat die EU‑Kommission den Vorschlag für eine neue Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (VO‑E) vorgelegt (Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council establishing a framework for setting ecodesign requirements for sustainable products and repalling Directive 2009/125/EC, COM(2022) 142 final, abrufbar unter https://ec.europa.eu/environment/system/files/2022-03/COM_2022_142_1_EN_ACT_part1_v6.pdf). Diese soll die bislang geltende Ökodesign-Richtlinie RL 2009/125/EG ersetzen. Sie übernimmt dabei deren Funktion als Rahmen, unter dem anschließend verschiedene delegierte Rechtsakte zu Ökodesignanforderungen an bestimmte Produkte oder Produktgruppen erlassen werden, vgl. Art. 4 VO‑E.
Im Unterschied zur bisherigen Richtlinie soll der Anwendungsbereich erweitert werden. So soll die neue Verordnung ein möglichst breites Spektrum von Produkten erfassen, sodass (mit wenigen Ausnahmen) Vorschriften für alle Arten physischer Waren, einschließlich Zwischenprodukten festgelegt werden können, Art. 1 Nr. 2 VO‑E. Ferner sollen die Produktanforderungen ausgeweitet und zusätzlich zu Energieeffizienz-Vorgaben auch solche zur Kreislauffähigkeit und Verringerung der Umwelt- und Klimaauswirkungen insgesamt gemacht werden, Art. 5 f. VO‑E.
Weiter sollen Informationspflichten festgelegt werden können, damit Umweltauswirkungen klar erkennbar sind, Art. 7 VO‑E, und es sollen für alle erfassten Produkte digitale Produktpässe eingeführt werden, um ein Recycling oder Zurückverfolgen bedenklicher Stoffe innerhalb der Lieferkette zu erleichtern, Art. 8 f. VO‑E.
Zudem beinhaltet der Entwurf Maßnahmen zur Verhinderung der Vernichtung nicht verkaufter Konsumgüter, vgl. Art. 20 VO‑E. Die Entsorgung nicht verkaufter Produkte durch große Unternehmen soll künftig offengelegt werden müssen, und die Kommission soll in bestimmten Fällen die Vernichtung nicht verkaufter Verbraucherprodukte verbieten können.
Die geplante neue Verordnung soll dem Entwurf zufolge unmittelbar nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in Kraft treten und ab diesem Zeitpunkt ohne weitere Übergangsfrist in den Mitgliedstaaten gelten. Für die Zeit bis dahin hat die Kommission zusätzlich einen Arbeitsplan für Ökodesign und die Energieverbrauchskennzeichnung 2022–2024 angenommen.
Europäische Union – Vorschlag zur Änderung der Verbraucherrechte-Richtlinie und der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vorgestellt
Am 30. März 2022 hat die EU‑Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU und der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 2005/29/EG veröffentlicht. Diese etablieren für Hersteller und Händler in der EU neue Pflichten im Bereich der Werbung und Pflichtangaben zu Lebensdauer und Reparierbarkeit von Produkten, damit Verbrauchern beim Kauf informiertere, umweltfreundlichere Entscheidungen treffen können, ohne irreführenden Umweltaussagen zu erliegen.
Die bisher geltenden Richtlinien werden u. a. um die Pflicht zur Weitergabe von Informationen über herstellerseitige Haltbarkeitsgarantien von mehr als zwei Jahren bzw. bei Waren, die auf Energiezufuhr angewiesen sind, auch über das Nichtbestehen einer solchen Haltbarkeitsgarantie ergänzt. Informiert werden müssen die Verbraucher bei Waren mit digitalen Elementen, Inhalten und Dienstleistungen auch über den Mindestzeitraum, in dem vom Hersteller bzw. Anbieter Software-Aktualisierungen bereitgestellt werden, wenn es an einer vertraglichen Regelung fehlt.
Des Weiteren müssen Händler nach der Intention des Entwurfs künftig nach einem für verschiedene Produkte geplanten „EU‑Reparierbarkeitsindex“ auch Angaben über die Reparierbarkeit des Produkts oder mögliche andere Angaben des Herstellers über die Verfügbarkeit von Ersatzteilen oder Reparaturhandbüchern machen.
Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken soll hinsichtlich zulässiger Werbung um Verbote der Irreführung über ökologische oder soziale Auswirkungen der Produkte, ihre Lebensdauer oder Reparierbarkeit sowie über „Greenwashing“ in Form von Aussagen über Umweltleistungen ohne objektive und überprüfbare Verpflichtungen und Ziele oder Prüfverfahren ergänzt werden.
Die neuen Vorgaben sollen innerhalb von 18 Monaten nach (Änderungs-)Richtlinienerlass in nationales Recht umgesetzt und zwei Jahre später angewendet werden.
Europäische Union – EU‑Parlament und Rat einigen sich auf einen Digital Services Act
Am 23. April 2022 haben sich der Rat der EU und das EU‑Parlament nach Beginn des Gesetzgebungsverfahrens im Dezember 2020 hinsichtlich des Digital Services Act (DAS) einigen können. Zusammen mit dem Digital Markets Act soll er künftig die Standards für einen sicheren und offeneren digitalen Raum für Nutzer sowie gleiche Ausgangsbedingungen für Unternehmen schaffen.
Der DAS soll die Pflichten von Vermittlungsdienstleistern wie Plattformbetreiber von Medien- und Marktplätzen hinsichtlich illegaler Produkte, Services oder Nutzerverhaltensweisen verschärfen. Dafür soll u. a. vorgesehen werden, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten der EU Zugang zu den Algorithmen großer Online-Plattformen haben. Zudem sollen Nutzer die Möglichkeit bekommen, illegale Inhalte zu melden; die Plattformbetreiber werden verpflichtet, zeitnah darauf zu reagieren. Außerdem werden die Betreiber verpflichtet, verstärkt zu kontrollieren, ob die von den Produkt- und Serviceanbietern zur Verfügung gestellten Informationen zuverlässig sind und die Plattformen vermehrt auf illegale Inhalte zu prüfen. Bei Verstößen gegen diese Pflichten drohen den Unternehmen Strafen von bis zu 6 % ihres weltweiten Umsatzes.
Ferner soll ein verbesserter Schutz der Grundrechte der Nutzer erreicht werden. Durch neue Transparenzverpflichtungen sollen Nutzer besser informiert werden, wie ihnen Inhalte empfohlen werden; der Einsatz von Empfehlungsalgorithmen auf großen Plattformen soll künftig von der Zustimmung der Nutzer abhängig sein. Selbst in diesem Fall muss jedoch eine Verwendung möglich sein, bei der kein Tracking stattfindet. Zusätzlich sollen Nutzer bessere Kontrolle über die Nutzung ihre persönlichen Daten durch die Betreiber bekommen. Zudem wird die Verwendung besonders sensibler Daten reguliert – allerdings nicht gänzlich verboten, wie dies ursprünglich intendiert war. Auch die Regelungen zu personenbezogener Werbung wurden verschärft – so darf es keine an Minderjährige gerichtete personenbezogene Werbung mehr geben.
Auch hinsichtlich schädlicher Inhalte und Desinformation sollen Plattformen künftig strikteren Pflichten unterliegen. So müssen große Unternehmen entsprechende systemische Risiken bewerten und bekämpfen. Sie sollen jedes Jahr einer entsprechenden unabhängigen Prüfung unterzogen werden.
Der DAS muss noch von EU‑Parlament und Rat angenommen werden.
Ausgabe von März 2022
Australien – Oberster Gerichtshof von Victoria bewilligt ersten Antrag zur Sicherung der Finanzierung von Sammelklagen
Der im Verfahren Allen v. G8 Education Limited [2022] VSC 32 gestellte Antrag auf ein Erfolgshonorar-Finanzierungsverfahren (als zweiter seiner Art überhaupt) ist der erste positiv beschiedene seit Inkrafttreten der Reform der Sammelklagenregelung in Victoria im Juni 2020.
Während die Vereinbarung eines Erfolgshonorars vor den meisten australischen Gerichten untersagt ist, kann der Supreme Court of Victoria (VSC) im Rahmen der Group Costs Order, GCO, den Anwälten eines Hauptklägers einer Sammelklage die Erhebung eines Erfolgshonorars gestatten, wenn es „überzeugt ist, dass dies angemessen oder notwendig ist, um sicherzustellen, dass in dem Verfahren Recht gesprochen wird“ (Section 33ZDA Supreme Court Act 1986(Vic)). Im vorliegenden Fall beantragten die Hauptkläger in einer Aktionärssammelklage gegen G8 Education die Genehmigung eines Erfolgshonorars i. H. von 27,5 % eines etwaigen Schiedsspruchs oder Vergleichs und die Aufteilung dieser Kosten zwischen Klägern und Gruppenmitgliedern.
Obwohl der Erlass einer Gruppenkostenfestsetzung mangels klarer Regelungen lediglich von einer umfassenden Bewertung des Einzelfalls abhängt, enthält die Entscheidung Hinweise auf die bei der Prüfung der Bewilligung des GCO-Antrags miteinzubeziehenden Aspekte. So ist z. B. ein Höchstsatz des Erfolgshonorars von 27,5 % vorgesehen. Wichtig für die Überlegungen des Gerichts waren zudem die Interessen der Gruppenmitglieder sowie die Intention des Reformgesetzgebers, den Zugang zur Justiz durch den Abbau potenzieller Hindernisse für die Erhebung von Sammelklagen zu verbessern. Schließlich nahm das Gericht eine detaillierte und komplexe Analyse alternativer Finanzierungsmöglichkeiten sowie der Beweise des Klägers, des klagenden Unternehmens und eines Wirtschaftswissenschaftlers vor.
Die positive Bescheidung des Antrags könnte der Beginn einer wegweisenden Veränderung in der Art und Weise sein, wie Sammelklagen in Australien künftig finanziert werden.
Deutschland – Bundesgerichtshof verwirft „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgelds
Mit seinem Urteil vom 15. Februar 2022 hat der u. a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat des BGH (Az. VI ZR 937/20) die taggenaue Berechnung von Schmerzensgeld verworfen und die Sache unter Aufhebung der Berufungsentscheidung zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 4.6.2020, Az. 22 U 244/19) zurückverwiesen.
Er befand, eine solche Berechnung werde den dabei zu berücksichtigenden generellen Grundsätzen nicht gerecht. Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgelds sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese verursachte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Vorzunehmen ist sodann eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei sind in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Die auf dieser Grundlage ermittelte Gesamtentschädigung lässt sich nach dem BGH jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln.
Im Gegensatz dazu berücksichtigt die „taggenaue Berechnung“ nur schematisch die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation des Krankenhauses verbracht hat, und die Zeit, die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen. Wesentliche Umstände des konkreten Falls, wie die erlittenen Verletzungen, die Art der Behandlung und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde sowie die Einschränkungen in seiner zukünftigen Lebensführung bleiben außer Betracht. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trage – so der BGH – der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung nicht hinreichend Rechnung.
Ob und wie sich die Entscheidung des BGH auf laufende Verfahren mit taggenauer Berechnung des Anspruchs auf Schmerzensgeld durch den Geschädigten auswirkt, bleibt abzuwarten.
Deutschland – Neuer Entwurf der Verordnung zum autonomen Fahren liegt vor
Am 23. Februar 2022 hat das Bundeskabinett einen neuen Entwurf der Verordnung zur Regelung des Betriebs von Kraftfahrzeugen mit automatisierter und autonomer Fahrfunktion und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften („Autonome Fahrzeuge-Genehmigungs- und Betriebsverordnung“) auf den Weg gebracht.
Hauptsächlich enthält die Verordnung technische Vorschriften sowie Regelungen zum Verfahren der Zulassung von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion zum Straßenverkehr. Damit vervollständigt sie nach der Novelle des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vom letzten Jahr den nationalen Rechtsrahmen zum autonomen Fahren. Im Vergleich zu dem der EU‑Kommission vorgelegten Entwurf wurden hauptsächlich strukturelle Anpassungen sowie die Ergänzung einer ausführlichen Begründung zu den (gleichbleibend hohen) Qualifikationsanforderungen der Technischen Aufsicht vorgenommen.
Konkret sind Regelungen zu Prüfung und Verfahren bei Erteilung einer Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen, zur Genehmigung des festgelegten Betriebsbereichs solcher Kraftfahrzeuge auf öffentlichen Straßen, detaillierte Regelungen zu den Pflichten der Beteiligten sowie neue Erprobungsregelungen und Ordnungswidrigkeiten enthalten. Im Anhang finden sich zudem detaillierte technischen Anforderungen an Bau, Beschaffenheit und Ausrüstung der entsprechenden Kraftfahrzeuge.
Hinsichtlich des Verfahrens zur Zulassung von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion zum Straßenverkehr gestaltet der Verordnungsentwurf das bereits durch die letzten Änderungen des StVG vorgegebene dreistufige Zulassungsverfahren im Einzelnen aus: Nach Beantragung einer Betriebserlaubnis beim Kraftfahrt-Bundesamt ist eine Genehmigung eines oder mehrerer typgleicher Fahrzeuge für bestimmte Straßen (festgelegter Betriebsbereich) bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde zu beantragen. Im letzten Schritt wird nach Vorlage dieser beiden Genehmigungen durch Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens und Ausfertigung der Fahrzeugpapiere schließlich die eigentliche Straßenzulassung erteilt.
Derzeit liegt die Verordnung beim Bundesrat. Die Abstimmung darüber wurde auf Mai verschoben.
Europa – Richtlinienentwurf zur „Corporate Sustainability Due Dilligence“ vorgelegt
Die Europäische Kommission hat am 23. Februar 2022 den Vorschlag für eine Richtlinie zur „Corporate Sustainability Due Diligence" vorgelegt (European Commission, Proposal for a directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Dilligence and amending Directive (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final). Damit sollen Unternehmen innerhalb des eigenen Geschäftsbereichs und entlang der gesamten Wertschöpfungskette zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet und damit auch der Übergang zu einer klimaneutralen und umweltfreundlichen Wirtschaft in Einklang mit dem European Green Deal und den UN Sustainable Development Goals sichergestellt werden.
Bereits jetzt sind für Unternehmen deutlich strengere Vorgaben und großflächigere Anpassungen der Compliance-Management-Systeme absehbar, auch weil der Entwurf inhaltlich an vielen relevanten Punkten deutlich über den Regelungsgehalt der direkten Verpflichtung nach dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG, das am 1. Januar 2023 in Kraft tritt) und anderer bereits bestehender nationaler Regulierungsansätze in Europa hinausreicht.
So erfasst der Entwurf schon deutlich kleinere Unternehmen als das LkSG sowie zudem die Finanz- und Versicherungsbranche. Daneben betreffen die Verschärfungen insbesondere die Reichweite der definierten Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette. Die erfassten Unternehmen müssen nun inklusive der Erstellung einer „Due Dilligence Policy“ alle verhältnismäßigen Maßnahmen ergreifen, um nachteilige Auswirkungen (Verstöße gegen bestimmte völkerrechtliche Konventionen) auf Menschenrechte und Umwelt zu verhindern oder zu mindern.
Auch bezieht der Richtlinienentwurf deutlich mehr internationale Umweltregelungen und Klimaschutzaspekte ein als beispielsweise das LkSG. So müssen u. a. Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie mit der angestrebten Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und dem 1,5‑Grad-Ziel des Pariser Abkommens vereinbar sein und die Einhaltung dieser Vorgaben bei der Vergütung der Unternehmensleitung berücksichtigt werden.
Zuletzt sieht der Richtlinienentwurf als zusätzliches Sanktionselement und unbeschadet strengerer zivilrechtlicher Haftungsvorschriften die mitgliedstaatliche Schaffung einer zivilrechtlichen Haftungsgrundlage zur Ahndung der von den Unternehmen durch Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten verursachten Schäden vor.
Nach Billigung durch das Europäische Parlament und den Rat muss der Richtlinienvorschlag innerhalb der vorgesehenen Frist von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Dies bedeutet auch Änderungen am LkSG insbesondere in Anwendungsbereich, Regelungen zum Schutz der Umwelt sowie für die zu schaffende zivilrechtliche Haftungsgrundlage.
Europa – Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet neue Verordnung über die Produktsicherheit
In seiner Stellungnahme zum von der Europäischen Kommission kürzlich vorgelegten Vorschlag für eine neue, aktualisierte Verordnung über die Produktsicherheit (S. Bericht in PHi-Newsletter August 2021), die bei Verabschiedung die derzeitige Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit (RaPS) ersetzen würde, befürwortet der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) grundsätzlich deren Inhalte. Mit dem neuen Vorschlag sollen neue Technologien berücksichtigt und mehr Klarheit über den Umfang der Produktsicherheitsanforderungen geschaffen werden.
Der EWSA begrüßt es dabei insbesondere, dass der Schwerpunkt auf dem Aspekt der Sicherheit liegt und Cybersicherheit als Voraussetzung für die Einstufung eines Produkts als sicher aufgenommen wurde. Gleichzeitig schlägt er vor, die Cybersicherheit künftig unter allen Aspekten und während des gesamten Produktlebenszyklus zu bewerten. Außerdem müsse jeder künftige Rechtsrahmen die Verbraucher auch vor Gefahren für ihre Sicherheit schützen, die von hackbaren, vernetzten Waren, fehlenden Software-Updates und der zunehmenden Verbreitung schädlicher Chemikalien ausgehen. Es werden daher auch diesbezügliche Änderungen empfohlen.
Mehr Klarheit fordert der EWSA in Bezug auf Haftungsfragen. So bemängelt er, dass der Verordnungsvorschlag nicht festlegt, dass Online-Marktplätze Importeure oder Händler von Produkten sind und für sie so keine ähnlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten vorgesehen sind wie für stationäre Geschäfte. Er regt deshalb an, Online-Marktplätze Artikel 5 der Verordnung zu unterwerfen, nach dem Wirtschaftsakteure nur sichere Produkte in der Union in den Verkehr bringen oder auf dem Markt bereitstellen dürfen sowie ihre Haftung auf die eines Importeurs gleichzustellen. Auch spricht er sich für eine Pflicht für Online-Marktplätze aus, die über ihre Vermittler verkauften Produkte zu überwachen.
Für erwägenswert erachtet der Ausschuss in seiner Stellungnahme die Anwendung der allgemeinen Produktsicherheit auch auf Chemikalien, um es zu ermöglichen, Kriterien für die Chemikaliensicherheit von Produkten festzulegen, die unter das Gesetz fallen.
Nach Prüfung des Standpunkts des Rats zum Verordnungsentwurf wird zunächst das Europäische Parlament über die Annahme des Entwurfs entscheiden, sodann der Rat. Bleibt es im Wesentlichen bei den derzeitigen Inhalten, müssen die Unternehmen ihre derzeitigen Praktiken anpassen, um die Vorschriften einzuhalten und Sanktionen der Marktaufsichtsbehörden zu vermeiden.
Ausgabe von Januar 2022
Deutschland – Weltweit erste Typgenehmigung im Bereich des automatisierten Fahrens erteilt
Am 2. Dezember 2021 hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) dem Autohersteller Mercedes-Benz die weltweit erste Typgenehmigung im Bereich des automatisierten Fahrens erteilt. Bei Typgenehmigungen handelt es sich um Bestätigungen der Typgenehmigungsbehörde, dass ein serienmäßig in größerer Stückzahl hergestellter Typ gleichartiger Fahrzeuge oder Fahrzeugteile den für sie geltenden Vorschriften entspricht.
Erteilt werden können derzeit Typgenehmigungen der Kategorien Allgemeine Betriebserlaubnisse für Fahrzeuge nach § 20 StVZO, Allgemeine Betriebserlaubnisse für Fahrzeugteile nach § 22 StVZO, Allgemeine Bauartgenehmigungen nach § 22a StVZO, EG/EU-Typgenehmigungen für Fahrzeuge, Systeme und Fahrzeugteile nach den Rahmenrichtlinien bzw. Verordnungen (2007/46/EG, 2003/37/EG, 2002/24/EG, (EU) Nr. 167/201 und 168/2013) und den dazugehörigen Einzelrichtlinien/-verordnungen sowie den Genehmigungen der UN‑Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) für Systeme und Fahrzeugteile.
Im konkreten Fall betrifft die für die Modelle S‑Klasse und EQS erteilte Genehmigung ein automatisches Spurhaltesystem (Automated Lane Keeping System – ALKS) und bescheinigt dem von Mercedes als Teil des sog. Drive Pilot verwendeten System, dass es den von der UN‑Regelung Nr. 157 definierten und international harmonisierten Sicherheitsanforderungen an automatisierte Spurhaltesysteme entspricht. Die Genehmigung stellt einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zur Automatisierung dar, ist das ALKS doch dem Automatisierungsgrad „Level 3“ zuzuordnen, einem automatisierten Modus, der eine konstante Überwachung des Systems durch den Fahrer entbehrlich macht und diesem bei eingeschaltetem System fahrfremde Tätigkeiten erlaubt. Gleichzeitig muss der Fahrzeugführer die Fahrzeugführung nach einer entsprechenden Übernahmeaufforderung jedoch jederzeit wieder übernehmen können. Durch UN‑Regelung Nr. 157 ist die Nutzung von ALKS auf autobahnähnliche Straßen und eine Geschwindigkeit von bis zu 60 km/h begrenzt. Das System regelt dabei Geschwindigkeit und Abstand und führt das Fahrzeug innerhalb der Spur, wobei Streckenverlauf, auftretende Streckenereignisse und Verkehrszeichen ausgewertet und berücksichtigt werden. Es soll ebenso auf unerwartet auftretende Verkehrssituationen reagieren und diese etwa durch Ausweichmanöver innerhalb der Spur oder durch Bremsmanöver eigenständig bewältigen.
Dem KBA kommt im Bereich des automatisierten Fahrens bereits seit Jahren eine maßgebliche Rolle zu. So begleitet es die Vorschriftenentwicklung auf der Ebene des UNECE bereits seit Jahren aktiv und hatte frühzeitig die Weichen für ihre Umsetzung gestellt: Interne Prozesse wurden in kürzester Zeit angepasst, um die Anforderungen aus den ebenfalls neuen UN‑Regelungen Nr. 155 (Cyber-Security) und Nr. 156 (Software-Update) als Voraussetzungen für eine Bestätigung, dass alle technischen Forderungen erfüllt sind und mithin der Genehmigung nach der UN‑Regelung Nr. 157 umzusetzen.
Deutschland – Zivilprozess soll laut Koalitionsvertrag moderner und digitaler werden
In ihrem am 24. November 2021 vorgelegten Koalitionsvertrag haben SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP u. a. Neuerungen am Zivilprozess angekündigt. Das auf Seite 105 beginnende Kapitel „Justiz“ beinhaltet insbesondere das Ziel, den Zivilprozess zu modernisieren und zu digitalisieren sowie den kollektiven Rechtsschutz weiter auszubauen.
Im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes sollen bestehende Instrumente wie das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz modernisiert und der Bedarf für weitere überprüft werden. Die EU-Richtlinie über Verbandsklagen (2020/1828) soll anwenderfreundlich und in Fortentwicklung der Musterfeststellungsklage umgesetzt und diese Klagemöglichkeiten statt wie bisher nur Verbrauchern auch kleinen Unternehmen eröffnet werden (S. 106 des Koalitionsvertrags). Die Musterfeststellungsklage soll beibehalten, im Zuge der Einführung der durch die Richtlinie über Verbandsklagen geforderten kollektiven Leistungsklage aber weiterentwickelt werden. Am System der Verbandsklage soll sich nach dem Willen der Koalitionsparteien nichts ändern. Den entsprechend berechtigten Verbänden wird eine Bandbreite von Klageinstrumenten von der Unterlassungsklage über die Musterfeststellungsklage bis hin zur Leistungsklage zur Verfügung stehen (S. 112 des Koalitionsvertrags).
Des Weiteren soll der Rechtsrahmen für Legal-Tech-Unternehmen erweitert und für sie klare Qualitäts- und Transparenzanforderungen festgelegt werden. Was im Rahmen einer solchen Erweiterung geplant ist, bleibt allerdings offen. Einen Vorstoß in diese Richtung hatte bereits der 2020 noch gescheiterte Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion (BT‑Drucks. 19/9527) gewagt, der eine weitgehende Liberalisierung vorsah und nun möglicherweise als Vorlage dienen wird. Daneben soll die Rechtsanwaltschaft durch eine Modifikation des Verbots von Erfolgshonoraren gestärkt und das Fremdbesitzverbot geprüft werden.
Darüber hinaus soll der Zivilprozess modernisiert werden: Gerichtsverfahren sollen schneller und effizienter werden, indem Verhandlungen online durchführbar sind, Beweisaufnahmen audio-visuell dokumentiert und mehr spezialisierte Spruchkörper eingesetzt werden. Kleinforderungen sollen in bürgerfreundlichen digitalen Verfahren einfacher gerichtlich durchgesetzt werden können (S. 106 des Koalitionsvertrags).
Außerdem sollen englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten ermöglicht werden (S. 106 des Koalitionsvertrags). Unter dem Stichwort „Commercial Courts“ sind diese bereits Teil des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten, der nach Passieren des Bundesrats derzeit beim Deutschen Bundestag liegt.
Österreich – Oberster Gerichtshof konkretisiert berechtigte Sicherheitserwartungen
Am 16. September 2021 hat sich der Oberste Gerichtshof von Österreich mit der Frage beschäftigt, ob es einen Produktfehler darstellt, wenn eine Skibindung sich nicht in jeder Situation und bei jeder Art Sturz öffnet (Beschluss vom 16. September 2021, Az.: 5Ob152/21w).
Die klagende Skifahrerin hatte nach einem Sturz im März 2017 von der Produzentin und Inverkehrbringerin der Ski und Skibindung Schadensersatz und Feststellung der Haftung für künftige Schäden verlangt, da die Bindung fehlerhaft i. S. von § 5 Produkthaftungsgesetz (PHG) gewesen sei. Ihre berechtigte Sicherheitserwartung als durchschnittliche Produktbenutzerin sei durch das Nichtöffnen der Bindung während des Sturzes enttäuscht worden, und sie zudem nicht auf das Risiko eines möglichen Nichtöffnens hingewiesen worden.
Nachdem bereits das Erst- und Berufungsgericht die Klage damit abgewiesen hatten, dass die mittels TÜV-Zertifikat bestätigte sicherheitsrichtlinienkonforme Funktion der Bindung auch beim Nichtauslösen bei jedem Sturz dem Stand der Technik entspreche und ein Produktfehler daher nicht gegeben sei, legte die Skifahrerin außerordentliche Revision beim Obersten Gerichtshof ein.
Doch auch damit hatte sie keinen Erfolg. Der OGH führte aus, es werde bei Produktfehlern nach PHG zwischen Konstruktions-, Produktions- und Instruktionsfehlern unterschieden. Maßstab für die Fehlerhaftigkeit seien dabei die berechtigten Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Verbrauchers. Nach den den OGH bindenden Feststellungen der Vorinstanzen hätten Konstruktion und Bindung den geltenden Normen und technischen Sicherheitsstandards entsprochen und seien voll funktionsfähig gewesen. Allerdings entspreche es gerade nicht dem Stand der Technik, dass eine Skibindung bei jedwedem Sturzgeschehen öffne. Dieser Stand der Technik konkretisiere aber die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktnutzers. Dass eine Bindung nicht in jedem erdenklichen Sturzgeschehen öffne, stelle daher keinen Konstruktions- oder Produktionsfehler dar.
Auch ein Instruktionsfehler aufgrund der Präsentation des Produkts lag nach Ansicht des OGH nicht vor. So sei mit dem auf der Bindung angebrachten allgemeinen Warnhinweis, dass die Funktionseinheit aus Ski, Bindung und Schuh nicht in allen Situationen mit Verletzungs- oder Todesgefahr für den Nutzer auslöst, auch für einen durchschnittlichen Vebraucher ausreichend vor den mit der Verwendung des Produkts verbundenen Gefahren gewarnt worden.
Zudem sei jedem durchschnittlichen Skifahrer klar, dass Skibindungen in ihrem Auslöseverhalten verschieden einstellbar sind und damit gerade nicht bei jedem denkbaren Sturzszenario auslösen. Damit bestehe keine dahingehende allgemeine Sicherheitserwartung. Auf die subjektive Erwartungshaltung der Klägerin komme es dagegen gerade nicht an, so der OGH.
Vereinigtes Königreich – Keine Haftung von Google wegen behaupteter rechtswidriger Verwendung personenbezogener Daten
Mit Urteil vom 10. November 2021 lehnte der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs (Supreme Court of the United Kingdom, Urt. v. 10.11.2021 (Lloyd v. Google LLC), Az.: UKSC 2019/0213) einstimmig die mittels einer Sammelklage (Class Action) gegen den Google-Konzern geltend gemachten Schadensersatzforderungen i. H. von ca. GBP 3 Mrd. ab.
Zugleich hob er das Urteil des Berufungsgerichts aus dem Jahr 2019 auf. Geklagt worden war wegen angeblich nach dem UK Data Protection Act 1998 (DPA 1998) rechtsgrundloser und daher rechtswidriger Verarbeitung personenbezogener Daten in Form von Browserinformationen von ca. 4,4 Millionen iPhone-Nutzern, indem deren Surfverhalten mithilfe von Cookies zur Werbeverfolgung und anderen Datenspeichertechnologien verfolgt und die Daten durch Google für den Verkauf eines gezielten Werbedienstes verwendet wurden.
Die Klage scheiterte nun am fehlenden erforderlichen Nachweis eines gleichartigen Schadens aller Kläger der vertretenen Personen. Zusätzlich erforderliche Voraussetzung für eine Class Action sei außerdem ein kausaler und nachweisbarer materieller Schaden bei den jeweiligen Betroffenen. Eine bloßer „Verlust der Kontrolle“ über personenbezogene Daten durch rechtswidrige Verarbeitung solcher Daten reiche nicht aus. Dies bedeutet, dass Anspruchsinhaber aus dem Vereinigten Königreich zur Geltendmachung eines datenschutzrechtlichen Schadensersatzes nach § 13 DPA 1998 künftig im Einzelfall psychische Schäden, seelische Belastungen oder finanzielle Verluste darlegen und nachweisen müssen, was eine gewisse Mindestschwelle für Schadensersatz bei Datenschutzverstößen etabliert.
Bereits 2012 hatte Google – ohne Anerkennung einer Haftung – in einem Vergleich mit der US‑amerikanischen Federal Trade Commission nach einem Datenschutzverstoß USD 22,5 Mio., außerdem USD 17 Mio. an eine Reihe von US‑Bundesstaaten gezahlt, in denen Google entgegen eigener Versicherungen Daten für Werbezwecke gesammelt hatte.
Ein klagestattgebendes Urteil hätte die Tür für weitere Klagen in anderen Datenschutzfällen öffnen können. Es bleibt abzuwarten, ob der derzeit mit ähnlichen Fragen konfrontierte Europäische Gerichtshof (EuGH) und die nationalen Gerichte bei der Entscheidung über den Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO mit den Anforderungen an das Vorliegen eines Schadens einen ähnlich restriktiven Ansatz verfolgen werden.
Rechtlicher Hinweis
Alle hier enthaltenen Informationen wurden mit großer Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Dennoch wird für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität keine Gewähr übernommen. Insbesondere stellen diese Information keine Rechtsberatung dar und können eine solche auch nicht ersetzen.