Vor 150 Jahren veröffentlichte Gregor Mendel seine „Versuche über Pflanzen-Hybriden“1 und schuf mit den nach ihm benannten Vererbungsregeln die Grundlagen der Gentechnik. Seither greifen Menschen zielgerichtet in das Erbgut ein, zumeist um die Erträge in der Landwirtschaft zu steigern.
Im Unterschied zum herkömmlichen Kreuzen und der natürlichen Rekombination von genetischem Material erfolgen die Veränderungen in der modernen Gentechnik durch Methoden und Verfahren, die unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen, insbesondere durch Einschleusung von künstlich hergestellter rekombinanter DNS in einen Zielorganismus.2 Die jüngste Entwicklung setzte 2012 mit dem CRISPR-CAS-System3 (genome editing) ein und erlaubt, noch zielgenauer DNSSequenzen einzufügen, zu entfernen oder auszuschalten.
Der Forschung eröffnen sich (wieder einmal) ganz neue Möglichkeiten – einerseits. Anderseits ist die „Grüne Gentechnik“ nach gut 20 Jahren Praxis im Futtermittelsektor weit verbreitet.4 Die gentechnisch geschaffenen Eigenschaften und Fähigkeiten der kommerziell bedeutsamen Nutzpflanzen5 (Soja, Mais, Baumwolle, Raps u. a.) sind fester Bestandteil in den Geschäftsmodellen der Händler und Produzenten von Saatgut, Futtermitteln etc. geworden.
Die Industrie führt beim Marketing beispielhaft folgende Vorteile an:
- höhere Widerstandskraft gegen Unkrautvernichtungsmittel
- Abwehr von Insekten, Viren, Bakterien oder Pilzen durch selbst produzierte Toxine
- größere Toleranz gegenüber trockenen, versalzten und oder sauren Böden
- verbesserte Stickstoffumsetzung und schnelleres Wachstum
- höhere Aufnahme von Eisen und Phosphat, höherer Proteingehalt, höherer Anteil von essenziellen Fett- und Aminosäuren und verbesserte Vitamin-E-Aktivität, niedrigerer Acrylamidgehalt
- Entfernung bestimmter Allergene oder natürlich vorhandener Giftstoffe
Der Nutzen dieser Merkmale wird in der aktuellen Diskussion um das Für und Wider der Gentechnik zwar nicht infrage gestellt, gleichwohl wird der Einsatz der Gentechnik kritisiert und vor allem im Lebensmittelbereich vielfach abgelehnt.6 Befürchtet werden die irreversible Freisetzung und Auskreuzung transgener Pflanzen sowie schädliche Auswirkungen auf andere Organismen und die Umwelt.7 Auch die Versicherungsbranche zeigt sich bei der Übernahme der Risiken zurückhaltend. In den herkömmlichen Versicherungsbedingungen werden Schadensersatzansprüche und Haftungssituationen im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen regelmäßig ausgeschlossen.
Folgende Fallgruppen lassen sich unterscheiden:
- Ansprüche infolge der Verletzung von Patenten, Urheberrechten oder Lizenzen werden in Betriebshaftpflichtversicherungen, ebenso wie in den üblichen Vermögensschadenhaftpflicht- und Rechtsschutzversicherungen, ausgeschlossen.8 Auch die speziellen Patent-Haftpflichtversicherungen decken i. d. Regel nur Abwehrkosten. Rückrufkosten und Schäden, die nicht dem Schutzrechtsinhaber entstehen, sind nicht versichert.
Fallbeispiel: Monsanto Canada verklagte 1998 den Landwirt Percy Schmeiser für die nicht lizenzierte Nutzung von „Roundup-Ready“-Rapspflanzen. Die Pflanzen waren ohne dessen Zutun auf seine Felder gelangt. Schmeiser berief sich auf das Recht, Saatgut aus den Pflanzen seines eigenen Bodens gewinnen und nutzen zu dürfen. Monsanto obsiegte zwar, Schmeiser musste aber keinen Schadensersatz leisten. - Die (auch unwissentliche) Weiterverarbeitung von GVO in Lebensmitteln stellt sich regelmäßig als Verletzung von Zulassungs- und/oder Kennzeichnungsvorschriften9 dar und zieht Produktrückrufe und Bußgelder nach sich. Ansprüche, die auf Erzeugnisse, die GVO-Bestandteile enthalten, zurückzuführen sind oder aus oder mithilfe von GVO hergestellt wurden, sowie Rückrufe solcher Erzeugnisse werden in den einschlägigen Versicherungsbedingungen10 generell ausgeschlossen.
Fallbeispiel: Spuren von „Starlink“ wurden ab 1999 u. a. in „Taco shells“ gefunden. „Starlink“-Mais war 1998 in den USA als Futtermittel und für industrielle Zwecke wegen des enthaltenen Cry9C-Proteins jedoch nicht als Lebensmittel zugelassen. Die kontaminierten Lebensmittel wurden zurückgerufen bzw. zurückgekauft, die Kosten werden auf USD 2 - 2,7 Mrd. geschätzt.11 - Nach einer Kontamination von „gentechnikfreier“ Ware12 durch GVO kann der Eigentümer Beseitigung und Schadensersatz verlangen. Es handelt sich um deliktische,13 eventuell auch vertragliche Ansprüche, die jedoch in der Betriebshaftpflichtversicherung generell ausgeschlossen werden.14 Ob es dabei auch zur Verletzung von Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften kommt, hängt vom Einzelfall ab.
Fallbeispiel: Aus den USA importierter Reis wurde 2006 bei der Einfuhr in Rotterdam wegen Kontamination mit nicht zugelassenem und nicht gekennzeichnetem „Liberty-Link-Rice-601“ zurückgewiesen. Es stellte sich heraus, dass etwa 30 % der US-Reisernte 2006 mit dem genetisch veränderten Reis kontaminiert waren. Reisbauern aus Arkansas erhielten vom deutschen Hersteller Schadensersatz in Höhe von USD 48 Mio. (2010) und eine einzelne Produktionsgemeinschaft in Höhe von USD 136,8 Mio. (2011). Die ökonomischen Gesamtkosten des Schadenfalls werden auf USD 1,2 - 1,7 Mrd. geschätzt.15 - Im Rahmen der kontrovers geführten Diskussion um die Gentechnik kam es vereinzelt zu politisch motivierten, böswilligen Beschädigungen an gentechnisch veränderten Pflanzen. Soweit es sich dabei um versichertes Eigentum handelt, können diese je nach Deckungsumfang und Sachverhalt von Sach- oder EC(Extended Coverage)-Versicherungen ersetzt werden.
Fallbeispiel: Anti-Gentechnik-Aktivisten zerstörten 2010 in Zepkow (Mecklenburg-Vorpommern) Teile einer Anpflanzung mit zugelassenen „Amflora“-Kartoffeln. - Fälle von direkten oder auch mittelbaren Störungen des ökologischen Gleichgewichts werden auch als Umweltschäden betrachtet. Im Rahmen der Haftpflichtversicherung für das Umweltrisiko sind Pflichtverletzungen oder Ansprüche wegen Schäden, die auf Gentechnik zurückzuführen sind, generell ausgeschlossen.16
Fallbeispiele: In den USA hat der Anbau gentechnisch veränderter herbizidresistenter Mais- und Sojapflanzen den großflächigen Einsatz des Totalherbizids Glyphosat ermöglicht und die Biodiversität herabgesetzt, u. a. wurde dadurch die natürliche Stickstoffbindung durch Leguminosen und Rhizobien im Boden vermindert. In China wurde gentechnisch veränderte Bt.-Baumwolle17 angepflanzt. Die Pflanzen selbst produzierten Insektizide, die u. a. für Lepidopteran-Larven tödlich waren. Da wegen dieser Eigenschaft insgesamt weniger Pestizide eingesetzt wurden, häuften sich andere Schädlingsplagen (z. B. Heteroptera : Miridae). - Gesundheitsschäden (Toxizität, Allergenität) bei Menschen und Tieren können durch GVO prinzipiell ausgelöst werden. Allerdings sind nach heutigem Kenntnisstand und auch infolge bestehender präventiver Maßnahmen bislang keine GVO-bedingten Gesundheitsschäden nachgewiesen worden (streitig).18 Für Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit regelt § 32 GenTG die Haftung zwar spezialgesetzlich – den für die Freisetzung Verantwortlichen trifft nach § 36 GenTG sogar eine Pflicht zur Deckungsvorsorge, etwa durch eine Haftpflichtversicherung – bislang ist aber dieser Regelungsauftrag von der Bundesregierung nicht umgesetzt worden. Auch auf europäischer Ebene hat der Vorschlag für ein System der Haftung und finanziellen Garantien für die negativen Auswirkungen der Gentechnik im vergangenen Jahr keine Zustimmung gefunden.19
Fallbeispiel: 1996 wurde bei der Entwicklung einer Sojabohne mit erhöhtem Methioningehalt ein Allergen der Paranuss identifiziert. Die Entwicklung wurde vom Hersteller Pioneer-Hi-Bred (DuPont) daraufhin im Laborstadium abgebrochen. - Durch nicht reversible Freisetzung (etwa Auskreuzung auf natürliche Artverwandte und Verdrängung) werden Umweltveränderungen befürchtet. Konkrete Schäden konnten jedoch bislang nicht dokumentiert werden (streitig).20 Aufgrund des generellen Umweltrisikoausschlusses für GVO,21 aber auch wegen des Ausschlusses von Normalbetriebsschäden22 im Rahmen der Haftpflichtversicherung besteht kein Versicherungsschutz für die Hersteller. Ebenso wie für Gesundheitsschäden besteht für die Beeinträchtigung der Natur oder der Landschaft ein spezieller Haftungstatbestand, jedoch – wie erwähnt – keine Pflicht zur Deckungsvorsorge.23
Fallbeispiel: Das unkontrollierte Auskreuzen etwa von gentechnisch verändertem Mais in Mittelamerika ist wegen der dort vorhandenen kreuzbaren Wildformen als Problem erkannt worden. Auch das Auftreten resistenter Unkräuter und Schädlinge als Reaktion auf gentechnisch veränderte Pflanzen zählt zu den Umweltveränderungen, die durch entsprechende Zulassungsverfahren verhindert werden sollen.
Die dargestellten Fallgruppen weisen im Hinblick auf festgestellte Schäden und Risikowahrnehmung auf ein grundsätzliches Problem hin: Die vor Gericht behandelten Fälle gründeten im Verstoß gegen Zulassungs- oder Kennzeichnungsvorschriften oder der Verletzung von gewerblichen Schutzrechten; ein durch die Freisetzung gentechnischer Pflanzen verursachter Gesundheits- oder Umweltschaden im eigentlichen Sinn wurde – soweit bekannt – weder festgestellt24 noch schadensersatzrechtlich kompensiert.
Gesundheit und Umwelt25 sind unumstritten von der Rechtsordnung anerkannte und geschützte Rechtsgüter, allerdings bereitet die nähere Bestimmung einer „ersatzpflichtigen Beeinträchtigung“ als Folge gentechnischer Veränderungen Schwierigkeiten.
Die Diskussion um den Schadenbegriff war anfänglich noch von der Vorstellung einer „toxischen Einwirkung“, ähnlich etwa bei chemischen Verunreinigungen, geprägt und die Schadenfeststellung an einen Vergleich (vorher/nachher bzw. ohne/mit) gekoppelt, in jüngerer Zeit haben sich die Akzente des Schadenbegriffs hin zu einem funktionalen Schutzgutverständnis und dem damit verbundenen Wirkungsgefüge verschoben.26
Die Bestimmung eines Referenzpunkts27, also eines „gentechnikfreien Naturzustands“, als Voraussetzung für eine Schadenfeststellung wurde als problematisch erkannt:
- Aufgrund der genetischen Variabilität von biologischen und ökologischen Prozessen ist ein reproduzierbarer Soll-Zustand (i. S. eines Rechts auf genetische Unversehrtheit oder evolutionärer Integrität) aus sich heraus kaum bestimmbar.
- Auch die Unterscheidung zwischen einem (unbeeinflussten) Naturzustand und einer (bereits) anthropogen geprägten Situation fällt schwer und berührt bei genauerer Betrachtung die Frage nach dem Kausalzusammenhang menschlich zurechenbaren Handelns.
- Schließlich hat sich gezeigt, dass naturwissenschaftliche Feststellungen in die eine wie die andere Richtung wesentlich von den gewählten Beobachtungsparametern und dem gesetzten Spektrum (z. B. Population, Art, Biozönose, Ökosystem) abhängen.
Auf der anderen Seite kann die Schadenfeststellung an das Wirkungsgefüge in einem funktionierenden Organismus oder einer balancierten Biozönose anknüpfen. Wenn GVO ihre Gene vertikal (durch Auskreuzung auf gentechnisch nicht veränderte Sorten oder Arten) oder horizontal (d. h. nicht sexuell, z. B. zwischen verschiedenen Mikroorganismen) weitergeben, können dadurch, bspw. über Verdrängung oder durch toxische Einwirkung, die biologischen Funktionen nachweislich verändert werden. In einem Einzelorganismus können sich direkte Veränderungen des Wirkungsgefüges durch Überempfindlichkeiten (Allergenität) zeigen.28 In der Umwelt können in abnehmender Biodiversität, eingeschränkter Bodenökologie oder verminderter Regerationsfähigkeit Veränderungen des Wirkungsgefüges erkannt werden.
Ob diese Veränderung dann als Schaden erkannt wird, bedarf zusätzlich einer Wertung, denn die Weitergabe bestimmter DNS-Sequenzen und Ausbreitung transgener Organismen sind für sich betrachtet zunächst nur Ausdruck evolutionärer Eigendynamik. Solange nicht ein „Recht auf evolutionäre Integrität“ vorausgesetzt wird, kann die Trennlinie zwischen natürlich-neutralem Geschehen und haftungsrechtlich relevantem Eingriff nicht stets und in eindeutiger Weise gezogen werden.29
In der aktuellen Gemengelage aus subjektiv geprägter Risikowahrnehmung, begrenzter naturwissenschaftlicher Kenntnis und interessengeleiteter öffentlicher Diskussion müssen bis auf Weiteres politische Wertungen durch die dazu legitimierten Stellen darüber entscheiden, was als Schaden von der Rechtsordnung anerkannt wird. Solche Wertungen finden sich u. a. in konkreten Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften, den Leitlinien zur Koexistenz von gentechnischer, traditioneller und ökologischer Landwirtschaft und/oder begleitenden Monitoring-Projekten wieder.
Welche Risiken bergen nun gentechnisch veränderte Organismen?
- Gentechnik ist Prototypenentwicklung und beinhaltet ein hohes Entwicklungsrisiko. Gefährdungshaftung, (widerlegbare) Ursachenvermutung und ein Haftungshöchstbetrag von EUR 85 Mio. charakterisieren das Haftungsregime des deutschen Gentechnikgesetzes. Die Verpflichtung zur Deckungsvorsorge i. S. von § 36 GenTG besteht zurzeit nur auf dem Papier.
- Zulassungs-, Kennzeichnungs- und andere Vorschriften schaffen Rechtspositionen bei Arbeitnehmern, Wettbewerbern, Nachbarn, Verbrauchern, Anwendern und berechtigten Interessengruppen sowie zugunsten der Umwelt. Diese Rechtspositionen knüpfen (auch ohne Schadenfeststellung) allein am nicht autorisierten Vorhandensein einer von einem Urheber erschaffenen gentechnischen Veränderung an. Da sich der rechtliche Rahmen wandeln kann, ist das Änderungsrisiko entsprechend hoch.
- Patent-, Urheber- und Lizenzrechte i. V. mit reproduktionsbereiten Organismen schaffen jenseits des dinglichen Eigentumsbegriffs weitergehende Rechtspositionen, die dem vertikalen oder horizontalen Genfluss folgen und mit anderen Rechtsgütern kollidieren können. Die Rechte an gentechnisch veränderten Organismen korrespondieren mit entsprechenden Verantwortlichkeiten. Auch ohne solche Rechte gilt das Verursacherprinzip.