Arbeit 4.0 – unter dieser Überschrift haben wir in vorangegangenen Publikationen verschiedene Aspekte der Digitalisierung beleuchtet. Selbstfahrende Autos, Automatisierungsprozesse, Mensch-Roboter-Kollaboration, all das steht für eine technische Revolution unserer Gesellschaft und damit auch unserer Arbeitswelt.
Arbeit 4.0 steht aber nicht nur plakativ für Digitalisierung, sondern als Synonym für einen tief greifenden Wandel, der Auswirkungen auf den innersten Kern dessen hat, was wir Beruf nennen. In diesem Beitrag wenden wir uns Entwicklungen und Auswirkungen auf Arbeitsorganisationsformen, neuen Arbeits- und Arbeitszeitmodellen und den Konsequenzen für die sich verändernde Arbeitswelt zu.
Atypische Beschäftigungen – kein neues Phänomen
Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind kein Phänomen der Digitalisierungswelle. Es handelt sich – allgemein gesprochen – um Beschäftigungsverhältnisse, die vom sog. Normalarbeitsverhältnis abweichen.
Was „typisch“ und was „atypisch“ ist, zeigt Abbildung 1.
Die Zahl der Personen, die in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Für 2016 beträgt die Quote 20,7 %, wobei mehr Frauen als Männer „betroffen“ sind.1 In absoluten Zahlen bedeutet das für 2016 : Es waren 7,7 Millionen Menschen atypisch beschäftigt. Demgegenüber belief sich die Zahl der Normalarbeitnehmer auf 22,0 Millionen. Bei den atypischen Beschäftigungen dominierte mit 4,8 Millionen Beschäftigten die Teilzeittätigkeit bis 20 Stunden/Woche (siehe dazu Abbildung 2).
Ursache für die Zunahme atypischer Beschäftigung ist ein Wandel der Arbeitswelt und ein Verlangen nach mehr Flexibilität – sowohl aufseiten der Arbeitgeber wie aufseiten der Arbeitnehmer. Teilzeitbeschäftigung kann u. a. eine Möglichkeit darstellen, Arbeit und Familie „unter einen Hut zu bekommen“. Befristungen bzw. Leiharbeit dienen aber auch dazu, einem unterschiedlichen Arbeitsanfall (z. B. saisonbedingt) Rechnung zu tragen und das Beschäftigungsvolumen anzupassen.
Atypische Beschäftigungen können unter Umständen auch reguläre Arbeitsplätze verdrängen, oder sie werden neben einer Vollzeittätigkeit als „Zweitjob“ ausgeübt. Die Zahl solcher Zweitjobs ist in Deutschland weiter gestiegen. Laut Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit gingen im Dezember 2016 insgesamt fast 2,7 Millionen Menschen im Nebenjob einer geringfügigen Beschäftigung nach. Mehr als die Hälfte der angestellten Nebenjobber macht den Minijob zusätzlich zur Vollzeitbeschäftigung.2
Was wird aus den atypischen Beschäftigungsverhältnissen in Zeiten der Digitalisierung? Werden sie weiter zunehmen? Das hängt entscheidend von den Arbeitsmodellen einer digitalisierten Wirtschaft ab.
Solche neuen, quasi „digitalen“ Arbeitsmodelle sind durch das Internet, die mobile Kommunikation bzw. die Nutzung sozialer Kommunikationsplattformen auf dem Vormarsch. Ohne Digitalisierung wären sie nicht vorstellbar. Für sie ist kennzeichnend: Arbeit wird in einigen Teilen ortsungebunden, kann also von überall, ob am Strand, am heimischen Schreibtisch oder auf der Bank im Stadtpark erledigt werden.
Welche neuen Arbeitsmodelle gibt es und was verbirgt sich hinter diesen?
Im Internet sind Hunderte von Vermittlungsplattformen entstanden, die Auftraggeber und Auftragnehmer so einfach zusammenbringen wie nie zuvor:3
Betrachten wir einige dieser Modelle etwas genauer:
a) Cloudwork
Im Netz gibt es zahlreiche Freiberufler-Marktplätze, die der Auslagerung von Arbeit (Outsourcing) dienen. Die Besonderheit liegt darin, dass nicht externe Firmen beauftragt werden, sondern Einzelpersonen. Häufig handelt es sich um zum Teil hoch qualifizierte/spezialisierte Soloselbstständige, die bei Anbietern wie z. B. UpWork Aufträge annehmen und ein individuelles Honorar dafür aushandeln. Die Arbeit wird von einer Person zu den vereinbarten Rahmenbedingungen erledigt.4 Häufige Aufgabentypen sind z. B. Suchmaschinenoptimierung, Software- und Webentwicklung, Design wie auch Anwalts- und Ingenieursdienste.5
Diese Plattformen verstehen sich nicht als Arbeitgeber, sondern als reine Vermittler, die Markttransaktionen erleichtern und als Technologieanbieter fungieren.
b) Crowdwork
Crowdwork/Crowdsourcing verfolgt einen anderen Ansatz. Aufgaben werden an eine Gruppe von Personen (Crowd) ausgelagert und nicht nur an eine bestimmte Person vergeben.6
Beim Crowdsourcing schlägt ein Crowdsourcer, der Unternehmung, Organisation, Gruppe oder Individuum sein kann, einer undefinierten Menge von potenziellen Mitwirkenden eine Aufgabe über einen „offenen Aufruf“ vor. Diese Crowdworker, die wiederum Individuen, formelle oder informelle Gruppen, Organisationen oder Unternehmen sein können, übernehmen die Bearbeitung. Der folgende Interaktionsprozess erfolgt über IT-gestützte Crowdsourcing-Plattformen.7
Eine gängige Unterscheidung beim Crowdworking ist die zwischen Microtasking und Kreativwettbewerben:
aa) Microtasking
Microtasking lässt sich beschreiben als Kleinstaufgaben für Kleinstbeträge bzw. als menschliche Datenverarbeitung im Akkord.8 Im Gegensatz zu den Freiberuflermarktplätzen geht es nicht um die individuelle Vergabe größerer Aufträge, sondern um die massenhafte Vergabe möglichst kleinteiliger, repetitiver Aufgaben an eine unspezifische Gruppe von Hilfskräften. Typischerweise handelt es sich um Datenverarbeitungsjobs, die menschliche Kognition bei der Durchführung erfordern, deren Ergebnis sich jedoch zumeist maschinell bewerten und zu einem größeren Ganzen zusammensetzen lässt.
Kennzeichnend für die Tätigkeit ist, dass der Auftragnehmer die Arbeit jederzeit – ohne Einhaltung irgendwelcher Fristen – „hinwerfen“ kann. Der Auftraggeber hat bei Nichtvollendung des Auftrags oder bei Nichtgefallen der erbrachten Leistung keine Verpflichtung, die Vergütung zu erbringen.9
bb) Kreativwettbewerbe
Zahlreiche Plattformen haben sich auf die kommerzielle Abwicklung von Kreativaufgaben spezialisiert. Dabei sind insbesondere die Bereiche Design (Grafik-, Logo-, Webdesign), Entwicklung von Marketingkampagnen sowie Produktneuerfindungen stark vertreten.10 Im Unterschied zu Freiberufler-Marktplätzen und Microtasking-Plattformen suchen die Auftraggeber das beste Ergebnis, die beste Idee, die dann vergütet wird. Alle anderen Ansätze werden verworfen, die Arbeit in der Regel nicht bezahlt.
c) Gigwork
Der große Unterschied beim Gigwork besteht darin: Hier werden die Jobs zwar auch über Internet-Plattformen vermittelt, aber vor Ort ausgeführt.
Beispiel: Ein Kunde bestellt ein Taxi im Internet. Die Fahrt übernimmt ein freiberuflicher Fahrer, der – unterwegs mit eigenem Fahrzeug – eine Nachricht auf seinem Smartphone erhält, wo er den Fahrgast abholen und abliefern soll. Der Begriff Gig stammt ursprünglich aus der Musikbranche: Ein Künstler versteht darunter einen einzelnen Auftritt, ohne längerfristige Verpflichtungen. Diesen kurzfristigen Charakter haben auch die Jobs aus dem Internet.11
Eine interessante Variante ist das sog. „Gigwalk“. Eine amerikanische Plattform vermittelt Mikroaufträge, zum Beispiel Fotos eines Restaurants aufzunehmen und einige Fragen zu dem Lokal zu beantworten. Für einen erledigten Auftrag werden zwischen drei und 15 US-Dollar bezahlt. Abgewickelt werden solche Aufträge über das Smartphone.12
Die „neue Arbeitswelt“: Licht- und Schattenseiten
Ein Mehr an Flexibilität und Selbstbestimmung empfinden viele von uns als positiv. Allerdings muss die Fähigkeit, sich selber gut zu organisieren und effizient arbeiten zu können, ausgeprägter sein als in einem durchreglementierten Arbeitsverhältnis. Eine deutliche Kritik an den beschriebenen Modellen ist die verminderte soziale Absicherung der Auftragnehmer.13 Der Status, ob angestellt oder selbstständig tätig, ist häufig nicht klar. Dazu kommt das Problem der Scheinselbstständigkeit, insbesondere wenn Aufträge primär über eine Plattform bezogen werden.
Erst kürzlich geriet die Internetplattform „MyHammer“, die sich gegen eine Sozialversicherungspflicht für die Nutzer ausspricht, aus diesem Grunde in die Schlagzeilen.14 Die gesetzliche Unfallversicherung brachte die Sozialversicherungspflicht für Clickworker ins Gespräch, welche vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt wurde. Plattformen wie „MyHammer“ hätten in der Regel Arbeitgeberfunktion und dürften sich nicht einfach ihrer Verpflichtung entziehen.
Eine teils ungenügende Bezahlung bei Crowdworkern, die oftmals nur bei „Erfolg“ eine Vergütung erhalten bzw. zu geringsten Stundenlöhnen arbeiten, ist unter der Überschrift „prekäre Verhältnisse“ in den Medien präsent.15
Ein Beispiel: Für 2,10 Euro sollen jeweils 150 Wörter zur Produktbeschreibung von Handtaschenmodellen verfasst werden. Als Vorlage erhält der Crowdworker ein Bild und einige Basisinformationen. Bei vier fertigen Texten in der Stunde wäre der Mindestlohn erreicht. In einem Selbstversuch haben die Journalisten Sahra K. Schmidt und Sebastian Strubbe diese Arbeit angenommen und mehr als 50 Minuten für die ersten zwei Texte benötigt. Diese Entwürfe erhielten sie mit umfassenden Korrekturbemerkungen zurück. Im Ergebnis wurde nur die Hälfte der verfassten Beschreibungen angenommen. Der Stundenlohn lag bei etwa 4 Euro.16