Das E-Health-Gesetz1 ist nach Beschlussfassung im Bundesrat am 18.12.2015 zum 01.01.2016 in Kraft getreten. In der Öffentlichkeit, aber auch in der Fachwelt bestehen nur ungenaue Kenntnisse darüber, welche unterschiedlichen Regelungen das Gesetz umfasst und ob insbesondere die Telemedizin nun den Durchbruch in die Regelversorgung schafft. Noch größere Unklarheit besteht darüber, welche haftungsrechtlichen Konsequenzen für Arzt und Krankenhausträger telemedizinische Leistungen haben können.
In ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf des E-Health-Gesetzes erläutert die Deutsche Gesellschaft für Telemedizin, dass bei der Anwendung von Telemedizin „Behandler und Patient nicht gleichzeitig am Ort der Behandlung körperlich anwesend sind und die Behandlung unter Einsatz elektronischer Datenübertragung und Fernkommunikationsmittel erfolgt“2. Haftungsfragen betreffen also die Haftung bei einer so beschriebenen „Fernbehandlung“.
Der Begriff „e-health“, frei übersetzt „Elektronik und Gesundheit“, ist dagegen umfassender und umfasst auch den Betrieb der Telematikinfrastruktur, z. B. durch elektronische Gesundheitskarte oder elektronischen Entlassbrief. Treffend heißt das E-Health-Gesetz eigentlich auch „Gesetz für sichere Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“3. Hier stehen datenschutzrechtliche und sicherheitstechnische Aspekte im Vordergrund, nicht etwaige Haftungsfragen.
Überblick über das E-Health-Gesetz
Die wichtigsten Regeln des ab dem 01.01.2016 geltenden E-Health-Gesetzes lassen sich wie folgt zusammenfassen: Ziel des Gesetzes ist nach der Gesetzesbegründung die Steigerung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Leistungserbringung durch einfacheren Zugriff auf Informationen und bessere Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Leistungserbringern. Zu diesem Zweck soll eine Telematik-Infrastruktur durch ein elektronisches Kommunikationsverfahren geschaffen werden. Die elektronische Gesundheitskarte soll von 2018 an notfallrelevante Daten eines Patienten speichern. An dieser Stelle sei kurz vermerkt, dass auch die elektronische Gesundheitskarte Haftungsrelevanz hat. Jedem Haftungsrechtler sind die Fälle bekannt, in denen ein Patient einen Gesundheitsschaden erleidet, weil erhobene Befunde oder anamnestische Angaben in der Behandlungssituation nicht verfügbar waren. Die Daten der Gesundheitskarte können daher Schaden und je nach Sachverhaltslage auch Haftung vermeiden. Denkbar sind aber auch neue Haftungsgefahren durch die elektronische Gesundheitskarte. Die Fülle der Informationen kann es schwieriger machen, die medizinisch relevanten Daten herauszufiltern und daraus die richtigen Schlüsse für Diagnostik und Therapie zu ziehen, ganz abgesehen davon, dass die Daten auch einfach ganz übersehen werden können. Diese unterschiedlichen Sachverhalte können zum Diagnosefehler des Behandlers aufgrund einerseits Unter-, andererseits Überinformation führen.
Als weitere Neuregelung des E-Health-Gesetzes wird der elektronische Entlassbrief durch finanzielle Anreize für Krankenhäuser und Vertragsärzte gefördert. Das besondere Problem der Einwilligung des Patienten in die Datenspeicherung und der Datenschutz sind ein wichtiger Bestandteil dieses Gesetzes. Die Telemedizin soll insbesondere in unterversorgten Regionen genutzt werden, zu diesem Zweck soll die Förderung telemedizinischer Leistungen mittels Zuschlägen und die Ausweitung im EBM, dem einheitlichen Bewertungsmaßstab der vertragsärztlichen Versorgung vorgesehen werden4.
Telemedizin im E-Health-Gesetz
Im E-Health-Gesetz findet sich die Telemedizin praktisch nur in § 291 g5 SGB V wieder, dessen Abs. 1 S. 1 wie folgt lautet:
„Die Kassenärztliche Bundesvereinigung vereinbart bis zum 30. Juni 2016 mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit der Gesellschaft für Telematik die Anforderungen an die technischen Verfahren zur telemedizinischen Erbringung der konsiliarischen Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen in der vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere Einzelheiten hinsichtlich der Qualität und der Sicherheit, und die Anforderungen an die technische Umsetzung…“
Kurz vor Verabschiedung des Gesetzes am 21.12.2015 ist noch die Vorschrift des § 291 g Abs. 4 SGB V aufgenommen worden, wonach neben der telekonsularischen Befundbeurteilung (Abs. 1) die Online-Videosprechstunde ab Juli 2017 in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen wird.
Auf der letzten MEDICA im November 2015 wurden im Rahmen einer Podiumsdiskussion weitere Beispiele diskutiert6. Bereits in der Regelversorgung ist danach die integrierte Parkinson-Videotherapie angekommen. Die Parkinsonsche Krankheit verändert sich in der Ausprägung der Symptome relativ schnell. In der Behandlung des Morbus Parkinson ist deshalb die häusliche Situation mit zu berücksichtigen. Über Video-Monitoring beim Patienten zuhause kann der Arzt die Parkinsontherapie auf den Einzelfall anpassen, ohne dass der Patient ins Krankenhaus kommen muss. Nach dem Bericht des Projektleiters auf der MEDICA sind die Erfahrungen mit dem Video-Monitoring „extrem positiv“.
Ab Januar 2016 will der Berufsverband Deutscher Dermatologen Video-Sprechstunden über eine sichere Online-Plattform mit bis zu 100 Arztpraxen erproben, um so die Verlaufskontrolle zu gewährleisten7. Der Modellversuch der Dermatologen nimmt also praktisch die gesetzliche Neuregelung des § 291 g Abs. 4 SGB V vorweg.
Facharztstandard und Telemedizin
Generell ist haftungsrechtlich von entscheidender Bedeutung, dass bei jeder medizinischen Behandlung, also auch der telemedizinischen Behandlung, der Facharztstandard gilt8. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Patient Anspruch auf den Standard eines erfahrenen Facharztes, also auf lückenlose fachkompetente Behandlung in jedem Bereich ärztlicher Versorgung9. Dabei ist nicht maßgeblich der formelle Facharztstandard, sondern die tatsächliche fachliche Befähigung auf der Basis theoretischer Kenntnisse und praktischer Erfahrungen10.
Für die Befundung digitaler Aufnahmen aus der Ferne folgt daraus schon zwingend, dass es haftungsbegründend ist, wenn der Patient vor Ort nur vom medizinischen Hilfspersonal oder weniger qualifizierten Ärzten in der Weiterbildung, also Assistenzärzten versorgt wird, die gewissermaßen „ferngesteuert“ durch den Experten arbeiten11. Daraus folgt, dass je nach Risiko der Untersuchung bzw. des Eingriffs ein überwachender Facharzt anwesend oder so erreichbar ist, dass er innerhalb kurzer Zeit von etwa 10 Min. eingreifen kann12. Zur Überwachungspflicht und Leitungspflicht des Chefarztes eines Krankenhauses bei stationärer Telemedizin gehört es, die hierzu erforderlichen ärztlichen Anordnungen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen, um Schaden oder Gefahren von Patienten fernzuhalten13.
Telekonsultation und Telediagnostik, die nach § 291 g E-Health-Gesetz gerade im ländlichen Bereich stärker gefördert werden sollen, haben haftungsrechtlich schon deshalb ihre Bedeutung, weil der Arzt nach den Grundsätzen des Übernahmeverschuldens sogar verpflichtet sein kann, konsiliarisch einen anderen Arzt hinzuzuziehen, wenn die eigene Kompetenz die standardgerechte Beurteilung des Falles nicht mehr erlaubt14. Zwar bleibt dieser Arzt, in dessen Obhut oder Abteilung sich der Patient befindet, weiterhin für Aufklärung, Überwachung und Behandlung zuständig. Er darf aber auf das besondere Fachwissen des Konsiliarius vertrauen, es sei denn, dieser begeht einen offensichtlichen Diagnosefehler, den auch er hätte erkennen müssen15. Umgekehrt hat sich aber auch der Konsiliararzt zu vergewissern, ob der behandelnde Arzt seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist und eine wirksame Einwilligung vorliegt. Im Rahmen ständiger telemedizinischer Handhabung ist es zweckmäßig und sinnvoll, das Prozedere zu standardisieren, um beispielsweise auch einen gemeinsamen Aufklärungsbogen zu entwickeln, der die telemedizinische Leistung mit einbezieht.
Technisches Überwachungsverschulden
Im Rahmen dieser „standardmäßigen“ Telemedizin gehört es auch zum Standard, den Einsatz der digitalen Technik selbst zu überprüfen und zu kontrollieren, ob über diesen Weg der Telemedizin alle für die Diagnosestellung notwendigen Erkenntnisse in der erforderlichen Qualität übermittelt werden können und auch tatsächlich übermittelt worden sind. Hier kommt ein wichtiges Kriterium der ärztlichen telemedizinischen Behandlung zum Tragen, nämlich das Erfordernis nicht nur des Standards der Behandlung und des ärztlichen Könnens, sondern auch der Überwachung der Qualität der digitalen Übermittlung selbst.
Daraus können sich ärztliche Pflichten in zwei Stoßrichtungen ergeben. Zum einen kann daraus eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten resultieren16. Wenn es nicht auszuschließen ist, dass die Diagnostik per Telemedizin nicht die gleiche Qualität haben kann wie eine persönliche Vorstellung bei dem Konsiliararzt, ist der Patient darüber aufzuklären. Es gehört zweitens schon zu den vorbereitenden Pflichten des behandelnden Arztes genau zu prüfen, ob telemedizinisch alle notwendigen Erkenntnisse gewonnen werden können17.
Da es sich darüber hinaus bei der telemedizinischen Leistung häufig um eine neue Leistung handelt, für die sich noch kein allgemein anerkannter fachlicher medizinischer Standard herausgebildet hat, hat der Behandler den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz zu beachten, dass in jedem Fall die Sorgfalt eines vorsichtig Behandelnden einzuhalten ist. Dies hat die Rechtsprechung schon frühzeitig für neue Behandlungsmethoden entschieden18.
Telemonitoring
Diese Grundsätze gelten auch für das sogenannte „Telemonitoring“, also die ständige oder regelmäßige Überwachung biologischer Messwerte über Einrichtungen der Telemedizin. Telemonitoring-Geräte können z. B. physikalische Daten wie Herzfrequenz und Herzrhythmus oder Blutdruckverhalten, Blutzuckerwerte, Lungenfunktionsparameter aufzeichnen und übermitteln. Im Bereich der Psychiatrie können sich durch Auswertung aufgezeichneter Gespräche sogar Hinweise auf psychische Störungen ergeben und an den Psychiater übermittelt werden.
Der Vorteil eines solchen Telemonitorings zeigt sich vor allem bei chronisch Erkrankten, die ihre Lebensqualität deutlich steigern können. Auch hier gilt haftungsrechtlich, dass Überwachung und Auswertung der eingehenden Befunde üblichem ärztlichem Standard entsprechen müssen und im Ernstfall auch ein dem Rufbereitschaftsdienst vergleichbarer Qualitätsstandard gewahrt ist19. Die Anforderungen an den medizinischen Standard sind auch beim Telemonitoring von den Fachgesellschaften und ggf. dem Bundesausschuss festzulegen.
Haftung für technische Mängel
Die Frage der Gerätesicherheit in der Telemedizin schafft ein weiteres rechtliches Problem, nämlich dasjenige des „voll beherrschbaren Risikos“. In § 630 h Abs. 1 BGB ist die Fehlerbewertung bei voll beherrschbaren Risiken mit der Folge der Beweislastumkehr geregelt. Vollbeherrschbar sind Risiken, die sich aus Bereichen ergeben, deren Gefahren ärztlicherseits durch geeignete Koordination ausgeschlossen werden können und müssen20. Dazu gehört vor allem der technisch-apparative Bereich21 mit dem Erfordernis der Gerätesicherheit. Das erfordert im Bereich der Telemedizin die Verwendung qualitativ einwandfreier Kommunikationsmittel und die qualitativ einwandfreie Schulung des Personals. Soweit die Risiken beherrschbar sind, wird man also die Beweislastregel des § 630 h Abs. 1 BGB anwenden müssen. Da der Mangel im Verantwortungsbereich des Behandlers liegt und der Patient keinerlei Einfluss auf die Kommunikationsmittel und deren Anwendung hat, muss der Beweislast des Behandlers auch eine entsprechende Darlegungslast des Behandlers entsprechen. Hier können nicht unerhebliche Haftungsgefahren liegen.
Fazit
Das E-Health-Gesetz, welches zum 01.01.2016 in Kraft getreten ist, kann erst eine Option schaffen, in unterversorgten Regionen durch Telemedizin die Medizin zu verbessern, und kann erst durch Gesetzesergänzung Optionen schaffen, wie etwa die ärztliche Überwachung von Herzpatienten aus der Ferne. Hier ist noch viel zu tun. Das Thema Telemedizin wird also auch in den nächsten Jahren aktuell bleiben.