Mit der rasanten Verbreitung von genetischen Untersuchungen in jüngster Zeit wird weltweit auch vermehrt über ihre Verwendung im Versicherungsbereich diskutiert. Versicherer, Ärzte und Verbraucherschutzorganisationen beschäftigen sich gleichermaßen mit diesem Thema, wenn sie auch mitunter sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten.
Genetische Daten – Fluch oder Segen?
Ist die Verwendung von genetischen Daten im Versicherungsbereich Fluch oder Segen für Versicherte und Versicherer? Die Meinungen dazu könnten nicht unterschiedlicher ausfallen.
Derzeit überwiegen auf allen Seiten vor allem die Sorgen. Verbraucherschützer verweisen auf den besonderen Charakter von genetischen Daten und ihre besondere Schutzwürdigkeit. Sie befürchten, dass Versicherer diese Daten nutzen könnten, um Antragstellern Versicherungsschutz zu verwehren, den sie aufgrund ihrer Disposition gegenüber schwerwiegenden Erkrankungen jedoch dringend brauchen.
Versicherungsunternehmen wiederum befürchten eine Informationsasymmetrie, wenn Antragsteller aufgrund immer zuverlässigerer, kostengünstiger und leicht verfügbarer Gentests immer mehr über den eigenen Gesundheitszustand – und das eigene Erkrankungsrisiko – wissen. Dies könne zur Folge haben, dass Versicherungsnehmer Versicherungsschutz gezielt – also antiselektiv – abschließen (oder eben nicht abschließen bzw. auslaufen lassen).
Ärzte weisen schließlich darauf hin, dass Versicherungskunden auf die Durchführung von wichtigen genetischen Untersuchungen verzichten könnten, weil sie befürchten, dass die genetischen Daten von Versicherungsunternehmen verwendet werden könnten. Dies könne etwa zur Folge haben, dass wichtige Behandlungen oder Vorbeugemaßnahmen hinausgezögert werden – mit entsprechend negativen Folgen für die Gesundheit der betreffenden Personen. All diese Bedenken mögen gerechtfertigt sein oder nicht, jedenfalls lassen Sie sich nicht so leicht von der Hand weisen.
In den letzten Jahren mehren sich jedoch die Stimmen, die auf die möglichen Vorteile der Verwendung von genetischen Daten im Versicherungsbereich verweisen. So könnte ein Versicherungsunternehmen, das von der genetischen Veranlagung eines Kunden weiß, diesen auf sein Erkrankungsrisiko aufmerksam machen. Im Falle einer vermeidbaren Erkrankung könnte der Kunde so unterstützt werden, die Entstehung der Krankheit und somit das Eintreten des Versicherungsfalls zu verhindern – im Interesse beider Parteien. Die Aufgabe der finanziellen Absicherung, die Versicherern traditionell zukommt, könnte durch die Unterstützung der Kunden beim Erhalt ihrer Gesundheit und Lebensqualität ersetzt oder ergänzt werden.
Niemand geht davon aus, dass Versicherungsunternehmen in Zukunft die Durchführung von genetischen Untersuchungen von ihren Kunden verlangen könnten. Das Recht auf Nichtwissen – also darauf, das eigene Erkrankungsrisiko nicht zu kennen und sich die damit verbundenen Sorgen zu ersparen – ist unbestritten.
Einige Versicherungsunternehmen bieten ihren Kunden mittlerweile die Durchführung genetischer Untersuchungen auf freiwilliger Basis an, beispielsweise als kostenlosen Zusatz zu einer Versicherung. Aktuell geht es dabei jedoch nicht darum, Genmutationen zu entdecken oder die Wahrscheinlichkeit künftiger Erkrankungen festzustellen, sondern vielmehr darum, dem gesundheitsbewussten Kunden Ratschläge und Empfehlungen in Bezug auf seinen Lebensstil zu geben, z. B. in Form eines gesundheitsfördernden Ernährungsplans oder einer individuellen Beratung zum optimalen Sportprogramm. Die genetische Analyse wird von spezialisierten Labors auf Grundlage einer Speichelprobe durchgeführt, die der Kunde selbst bereitstellt. Zu keinem Zeitpunkt kann das Versicherungsunternehmen auf die genetischen Daten oder die entsprechenden Empfehlungen zugreifen.
Aktuelle Gesetzgebung weltweit
In Bezug auf die gesetzliche Regelung der Verwendung von genetischen Daten muss es für Versicherungsunternehmen in jedem Fall oberste Priorität haben, auf Sorgen und Bedenken von Kunden einzugehen und unzumutbare Härte für alle Beteiligten zu vermeiden.
Gemeinsamkeiten in den nationalen Gesetzgebungen
Wenn man sich ansieht, wie die Verwendung von genetischen Daten heutzutage weltweit geregelt ist, stellt man fest, dass es keine einzig „richtige“ Methode gibt. Folgende Gemeinsamkeiten lassen sich in den nationalen Gesetzgebungen feststellen:
- Insgesamt gibt es kaum offizielle Gesetze, sondern hauptsächlich selbstregulierende Maßnahmen der Versicherungswirtschaft in Form von freiwilligen Zusagen.
- Wenn überhaupt, werden ausschließlich genetische Untersuchungen berücksichtigt, die der Antragsteller auf Eigeninitiative hat durchführen lassen. Niemals wird die Durchführung vom Versicherer verlangt.
- Das Recht des Antragstellers auf Nichtwissen ist in vielen Ländern ausdrücklich gesetzlich verankert. Dies ist beispielsweise für Antragsteller besonders wichtig, die aufgrund der familiären Häufung einer Erkrankung eine erbliche Vorbelastung befürchten.
- Die Verwendung von prädiktiven genetischen Daten – also in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Erkrankung – ist strenger geregelt als die Verwendung von diagnostischen Daten in Bezug auf eine bereits bestätigte Erkrankung. Gelegentlich ist jedoch auch die Verwendung der Ergebnisse diagnostischer Untersuchungen umstritten.
Unterschiede in den nationalen Gesetzgebungen
Neben den genannten Gemeinsamkeiten gibt es jedoch auch entscheidende Unterschiede:
- Während die Verwendung vorteilhafter genetischer Daten in einigen Ländern zulässig oder vorgeschrieben ist, verbieten andere Länder Versicherungsunternehmen den Zugriff auf genetische Daten grundsätzlich. Dies ist beispielsweise im Fall einer familiären Vorbelastung maßgeblich, wenn ein Gentest beweist, dass der Antragsteller nicht Träger derselben Genmutation ist und deshalb wahrscheinlich kein erhöhtes Erkrankungsrisiko hat.
- In einigen Ländern gelten liberalere Regeln für hohe Deckungssummen, während in anderen Staaten alle Fälle gleichbehandelt werden.
- In manchen Ländern wird die Anfrage nach Informationen zur Familiengeschichte genauso behandelt wie die Anfrage nach genetischen Daten, während in anderen Ländern beide komplett unabhängig voneinander betrachtet werden.
- Sofern die Familiengeschichte bei der Antragstellung berücksichtigt wird, variiert der berücksichtigte Verwandtschaftsgrad erheblich. In einigen Ländern werden ausschließlich Familienangehörige ersten Grades berücksichtigt, während in anderen Staaten aus Gründen des Datenschutzes eine Erweiterung auf Angehörige zweiten Grades vorgeschrieben ist.
Genetische Untersuchungen – quo vadis?
Die Verwendung von genetischen Daten gehört zweifelsohne zu den wichtigsten künftigen Themen der Versicherungswirtschaft. Die Zeit wird zeigen, ob ein grundsätzlicher Wandel der Branche bevorsteht oder neue Geschäftsbereiche erschlossen werden, die es den Versicherungsunternehmen ermöglichen, eine neue Rolle in ihren Kundenbeziehungen zu übernehmen.
Auch wenn es nur sehr wenige öffentlich prominente Gesetzesinitiativen gibt, spricht die Intensität der Diskussionen, die in vielen Ländern hinter den Kulissen geführt werden, dafür, dass alsbald die Weichen für eine künftige Gesetzgebung gestellt werden.
Die Komplexität des Themas sowie das Tempo, in dem sich die Genanalyse in der klinischen Welt weiterentwickelt, machen die Auseinandersetzung mit diesem Thema zu einer großen Herausforderung. Das Ziel jeder Diskussion müssen jedoch einfache und transparente Regeln sein, die sicherstellen, dass die Verwendung von genetischen Daten für beide Partner vorurteilsfrei, gerecht und zumutbar erfolgt.
Endnoten
- Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2009). https://www.gesetze-im-internet.de/gendg (abgerufen am 14. September 2018).
- Code on Genetic Testing and Insurance. Association of British Insurers (2018). https://www.abi.org.uk/products-and-issues/choosing-the-right-insurance/health-insurance/genetics-and-insurance/ (abgerufen 12. April 2019).
- The Genetic Information Nondiscrimination Act of 2008. National Human Genome Research Institute (2008). https://www.genome.gov/27568492/the-genetic-information-nondiscrimination-act-of-2008 (abgerufen am 14. September 2018).
- FSC Standard No. 11 Genetic Testing Policy. Financial Services Council (2016). https://www.fsc.org.au/resources/standards (abgerufen am 12. April 2019).
- FSC Standard No. 16 Family Medical History Policy. Financial Services Council (2016). https://www.fsc.org.au/resources-category/372-16s-family-history-pdf (abgerufen am 12. April 2019).