Die Digitalisierungswelle – wie ein Tsunami rollt sie auf alle Bereiche unserer Gesellschaft und Wirtschaft zu und entfaltet eine enorme Innovationskraft, die alles Bisherige in den Schatten stellt. Inmitten dieser nicht aufzuhaltenden Entwicklung stehen Versicherungsunternehmen und Kunden, die sich beiderseits neue Technologien zunutze machen.
Als ein Beispiel ist in der Branche der deutliche Trend zu erkennen, digitale Kommunikationswege auszubauen. Ob über Applikationen oder Plattformen, der Kunde soll digital mit den Unternehmen kommunizieren können, Anträge auf Versicherungsschutz abschließen, seine Verträge verwalten und Leistungsanträge online stellen – das Ganze mit maximaler Nutzerfreundlichkeit und Transparenz.
Je mehr Informationen der Kunde bekommt, desto weniger Rückfragen hat er. Im Schadensfall wünscht sich mittlerweile jeder zweite Verbraucher in Deutschland die Möglichkeit, diesen über das Smartphone, also eine App, anzuzeigen und zu regulieren.1
Neben der bereits verbreiteten Möglichkeit, vorgefertigte Formulare am Bildschirm auszufüllen, können u. a. auch sog. Chatbots als „digitale Helfer“ implementiert werden, um diese Entwicklung voranzutreiben.
Chatbot – was ist das?
Die Haupteigenschaft, die Chatbots, also Chat-Roboter, auszeichnet, ist die Fähigkeit, mit Anwendern eigenständig zu kommunizieren. Aktuelle Chatbots sind durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Lage, auf ein vielfältiges Repertoire von Fragestellungen und Einwänden zu reagieren. Sie werden als direkte Schnittstelle zwischen den Kunden und bestimmten Dienstleistungen eingesetzt. Chatbots bieten insbesondere den Vorteil, eine Vielzahl von allgemeinen oder häufig gestellten Anforderungen und Problemstellungen in Echtzeit abzufangen, zu bearbeiten und zu lösen.2
Eine Bitkom-Studie aus dem Jahr 2017 ergab, dass jeder vierte Nutzer von Online-Applikationen bereit ist, einen Chatbot zu nutzen und mit diesem zu kommunizieren. Chatbots reagieren ohne jegliche Wartezeit. Sie unterstützen Kundenwünsche, wie etwa die Terminplanung, und bereiten vertrags- und produktrelevante Informationen auf.3
Weitere Vorteile sind zum Beispiel die immerzu fröhliche und kooperative Haltung sowie die transparente und gleichförmige Beantwortung der Anfragen. Diese wird durch den Zugriff auf eine zuverlässige Informationsdatenbank gewährleistet. Außerdem ist der Einsatz leicht skalierbar, das bedeutet, Stoßzeiten und Anfragewellen stellen Chatbots vor keine große Herausforderung. Sie haben keinerlei erkennbare Auswirkungen auf die qualitative Auskunft der Anwendungen.4
Welche Arten von Chatbots gibt es?
Grundsätzlich werden Chatbots nicht in erster Linie konzipiert, um den Menschen und die persönliche Beratung zu ersetzen. Wir kennen zwei Arten von Chatbots:
Auf der einen Seite gibt es den bereits vorgestellten virtuellen Assistenten. Er nimmt eine ambivalente Rolle ein, da er sowohl Effizienzen für den Kunden hebt, indem er schnell, freundlich und präzise Fragen beantwortet und Anweisungen sowie Hilfestellungen gibt. Gleichermaßen können diese virtuellen Assistenten dabei helfen, Kundenwünsche frühzeitig zu identifizieren und dementsprechend zu steuern. Die erfragten Inhalte des Kunden werden gebündelt und analysiert. Ergibt sich hierbei ein Muster, das darauf hinweist, dass der Kunde zum Beispiel schlecht gelaunt und unzufrieden mit einer Dienstleistung ist, so wird er umgehend zu der zuständigen Beschwerdestelle gesteuert. Der nun zuständige Kundenberater ist nachfolgend besser in der Lage, individuell auf die Bedürfnisse des Kunden einzugehen, da er Informationen vorab erhält.
Die zweite Art der Konzeption eines Chatbots ist eine sehr spezialisierte Form innerhalb eines einzelnen Aufgaben-gebietes. Kommunikation fungiert bei der erstskizzierten Art von Chatbots im Sinne von Wissenstransfer/-austausch. Chatbots werden hierzu in möglichst generalisierbaren Servicedienstleistungsprozessen eingesetzt.
Die zweite Konzeption hingegen wird bei der Extraktion von Informationen eingesetzt. Konkret bedeutet dieser spezialisierte Informationsaustausch, dass der Chatbot über viele Detailinformationen zu einem bestimmten Themengebiet verfügt. Diese Informationen ruft er mithilfe eines neuronalen Netzes, eines Analysekonstruktes der künstlichen Intelligenz, im Gesprächskontext ab und lässt sie mit in die Kommunikation einfließen. Durch die somit entstehenden fachlichen Gespräche kann ein Chatbot eigenständig Analysen durchführen und Schlüsse ziehen, Handlungsalternativen vorschlagen und Detailwissen abfragen, welches sich auf Zusammenhänge der vorher erfragten fachlichen Informationen bezieht.
Die semantische und bewertende Komponente ist ein erheblicher Mehrgewinn von Chatbots der aktuellen Generation. Durch die Erreichung dieser Entwicklungsstufe werden Chatbots nicht nur unter Servicegesichtspunkten zu einem Werkzeug, über dessen Einsatz auch in der Leistungsregulierung von Versicherungsprodukten nachgedacht werden kann.5
Chatbots in Risiko- und Leistungsprüfung
Kommunikation durch Interaktionssysteme erfordert eine ausgiebige Analyse der zugehörigen Anforderungen.
„Kommunikation ist die Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen.“6
Kommunikationsprozesse erfüllen gewisse Aufgaben, ob bei Abschluss und Verwaltung von Verträgen oder im Schadensfall, also innerhalb des Leistungsregulierungsprozesses. Sie dienen in erster Linie der Erfassung, Identifikation und Differenzierung aller notwendigen Informationen über die versicherte Person bzw. eines potenziellen Kunden.7
Wenn wir über geeignete Einsatzmöglichkeiten für Chatbots nachdenken, muss diese spezifische Zielsetzung in den Fokus rücken. Wie kann der Chatbot dabei unterstützen, bei der Risiko- und Leistungsprüfung zu einer verbesserten Erfassung aller wesentlichen, für eine effiziente Prüfung benötigten Daten beitragen?
Informationen sollen dabei qualitativ besser erfasst und vollumfänglicher gespeichert werden können. Die Datenqualität von ausgefüllten Anträgen auf Abschluss eines Vertrages wie auch von Schadensformularen ist häufig suboptimal und führt zu einem hohen Nachfrageaufwand. Die klassischen kommunikativen Nachfrage- und Rechercheprozesse sind zeitintensiv und erscheinen dem Antragsteller häufig intransparent.
Zudem ist die Berufsunfähigkeitsversicherung ein sehr erklärungsbedürftiges Produkt. Dieser Umstand eröffnet Chatbots ein weiteres Betätigungsfeld. Um genauere und damit bessere Daten von der versicherten Person zu erhalten, können Chatbots als interaktiver Partner bei der Navigation durch einen digitalen Antrag auf Versicherungsschutz oder eine Schadensmeldung gute Dienste leisten.
So könnten gesetzliche Regelungen, Vertragsbestandteile, wie zum Beispiel die AGB und die besonderen Bedingungen des Vertrags, durch einen Chatbot erläutert werden. Häufig erklärungsbedürftige Rückfragen, wie zum Beispiel nach dem aktuellen Sachstand der Bearbeitung, können durch den Chatbot jederzeit und ohne Warteschleifen an den Kunden kommuniziert werden.
Im Schadensfall bieten neuronale Netze die Chance, prüfungsrelevante Vorträge der versicherten Person, wie zum Beispiel die Beschreibung der beruflichen Teiltätigkeiten, genauer und individueller zu erfassen. Während ein gewöhnliches Leistungsantragsformular die Aufforderung der „Beschreibung Ihrer beruflichen Tätigkeit“ mithilfe eines beigefügten Freitextfeldes stellt, kann ein Chatbot vom „Hölzchen aufs Stöckchen“ abzielend detaillierte Zusatzfragen platzieren, die den bereits erfassten berufskundlichen Vortrag der versicherten Person berücksichtigen.8
Ebenso ist es denkbar, Chatbots bei der Einschätzung von medizinischen Zusammenhängen einzusetzen. Ein aktuelles und vielversprechendes Beispiel hierfür ist der Chatbot „Ada“. In der jetzigen Ausgestaltung fungiert „Ada“ als eine Art Onlinedoktor, der dem Nutzer Aufschluss darüber gibt, zu welcher Diagnose seine beschriebenen Symptome höchstwahrscheinlich passen könnten.9
Der Anwender beschreibt zunächst sein Hauptsymptom. Anschließend stellt der Chatbot individuelle Fragen. Diese Fragen lernen aus den gewählten Antworten und gleichen die beschriebenen Symptome mit bekannten Symptomkombinationen ab. Die Datenbank, die hierbei verwendet wird, ist sehr groß und ermöglicht daher eine präzise Aussage darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Diagnose zu erwarten ist. Zusammen mit der voraussichtlichen Diagnose liefert der Chatbot diverse Hinweise, Informationen und Hilfestellungen, welche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Im Kontext BU-Leistungsregulierung ist zwar keine Identifikation der Diagnosen notwendig, da diese aus ärztlichen Befundberichten hervorgehen, dennoch ist eine ähnliche Ausgestaltung eines Chatbots zur erweiterten Validierung der Symptome durchaus vorstellbar. Nehmen wir das Beispiel der bei Antrag auf Versicherungsschutz zu beantwortenden Gesundheitsfragen: Sobald der Kunde eine Frage bejaht, wäre ein Chatbot in der Lage, gezielt nach Beschwerden und Behandlungen zu fragen. Die Übersendung ergänzender Fragebögen, die heute noch üblich ist, wäre entbehrlich.
Die Nutzung von Chatbots setzt sich vermehrt durch, da diese sehr intuitiv und einfach bedient werden können.
Die Aspekte der Convenience und der Einfachheit gehören zumindest in der Betrachtung von BU-Leistungsregulierungsprozessen zu den größten Kritikpunkten. Convenience und Einfachheit gelten hingegen bei der Betrachtung von Chatbots als größte Stärke.
Funktioniert der Einsatz einwandfrei, sollte man abschließend über eine Sache reflektieren: Chatbots laufen rund um die Uhr, können nahezu unbegrenzt viele Anfragen gleichzeitig verarbeiten und liefern eine jederzeit konstante Qualität der Informationsweitergabe. Ebenso können sie dabei helfen, Prozesse bei der Erfassung der Informationen qualitativ verbessernd als auch personifizierter zu gestalten. Chatbots stellen ein Bindeglied zwischen dem Sachbearbeiter und dem Kunden dar, das eine Vielzahl von beratenden Fähigkeiten übernehmen kann.
So steht der Chatbot als virtueller Assistent während des gesamten Vertragsverlaufs uneingeschränkt als „Ansprechpartner“ zur Verfügung. Spezifische Fragen nach Rückkaufswerten, Erhöhungsoptionen oder der Möglichkeit der Bei-tragsstundung, um nur einige Beispiele zu nennen, könnten voll digital abgewickelt werden – ohne Warteschleifen und Besetztzeichen.
Dabei ist jedoch von einer Unterstützung in beide Richtungen auszugehen, denn auch der Versicherer bekommt eindeutigere und umfangreichere, eben individuellere Daten bereitgestellt, die die Servicequalität positiv beeinflussen können.
Abschließend können digitale „Kommunikationsinstrumente“ helfen, eine noch höhere Kundenzufriedenheit zu erreichen, die Antrags- und Leistungsprüfung zu beschleunigen und vor allem auch zu standardisieren. Der Kunde sollte hierdurch jedoch nicht die Möglichkeit verlieren, mit einem fachlich kompetenten Sachbearbeiter persönlich zu sprechen.