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Ausgabe von November 2018
Deutschland – LG Freiburg: Haftung des Herstellers von Metall-auf-Metall-Hüftgelenksimplantaten
Das Landgericht Freiburg hat zwei Klägern, die sich wegen fehlerhafter Metall-auf-Metall-Hüftgelenksimplantate Revisionsoperationen unterziehen mussten, Schmerzensgeld i. H. von jeweils EUR 25.000 zugesprochen (Urteile vom 15. Oktober 2018, Az.: 1 O 240/10 und 1 O 26/17). In einem ähnlich gelagerten Fall (Urteil vom 24. Februar 2017, Az.: 6 O 359/10) läuft derzeit ein Berufungsverfahren beim Oberlandesgericht Karlsruhe (Az.: 14 U 50/17).
Dem Kläger (Jahrgang 1957) im Verfahren 1 O 240/10 war am 24. Juni 2005 in einem Krankenhaus, dessen Trägerin Streithelferin ist, ein Hüfttotalendprothesensystem implantiert worden, das aus einer Metall-auf-Metall-Gleitpaarung bestand. Beklagte zu 1 ist die Schweizer Herstellerin des Prothesensystems, Beklagte zu 2 die Importeurin in den EWR (die damit gem. § 4 Abs. 2 ProdHaftG ebenfalls als Herstellerin gilt).
Am 23. Oktober 2009 unterzog sich der Kläger auf Anraten der Ärzte der Streithelferin einer Revisionsoperation, bei der Pfanne und Kopf der Prothese gewechselt wurden, nachdem eine Röntgenuntersuchung im August 2009 Osteolysen am Oberschenkelknochen ergeben hatte. Zwei Blutproben am Tag der Revision ergaben erhöhte Werte an Chrom (1,3 und 1,6 µ/l) und Kobalt (4,9 und 5,6 µ/l).
Der Kläger verklagte die Beklagten auf ein angemessenes Schmerzensgeld nicht unter EUR 40.000 nebst Zinsen, Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten nebst Zinsen und Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich sämtlicher weiteren materiellen und immateriellen Schäden, die aus der Implantierung der Prothese am 24. Juni 2005 resultierten.
Das LG Freiburg gab nach Einholung mehrerer Sachverständigengutachten der Klage statt, erkannte jedoch auf ein Schmerzensgeld von EUR 25.000 und begrenzte die Feststellung hinsichtlich der immateriellen Schäden auf nicht vorhersehbare zukünftige Schäden.
Konstruktionsfehler
Das Landgericht kam zu dem Schluss, dass das von der Beklagten zu 1 hergestellte Prothesensystem fehlerhaft sei, weil es insbesondere in der Konussteckverbindung zu erhöhtem Metallabrieb führe, der gesundheitlich bedenklich sei.
Die in den Blutproben des Klägers festgestellten Metallkonzentrationen lägen in einem gesundheitsgefährdenden Bereich. Nach der Einschätzung des wissenschaftlichen Ausschusses der EU-Kommission (SCENIHR) könnten die von Metall-auf-Metall-Gleitpaarungen freigesetzten metallischen Produkte zu lokalen und systemischen Gesundheitsauswirkungen führen, die von kleinen asymptomatischen Gewebeschäden bis hin zur schwerwiegenden Zerstörung von Knochen und Weichteilgewebe reichen könnten.
Die Schadenmechanismen für den erhöhten Metallabrieb seien in der Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt und vermutlich multifaktoriell.
Instruktionsfehler
Eine unzureichende Krafteinwirkung bei der Fügung der Konusverbindung der Prothese im Zuge der Implantation durch die Operateure habe zu galvanischer Korrosion am Innenkonus der Adapterhülse und zum Versagen der Prothese geführt.
Reibkorrosion und Mikrobewegungen ließen sich durch eine Fügekraft von mindestens 7 kN weitgehend minimieren. In der OP-Anleitung vom Juli 2004 sei jedoch nur von „einem leichten Schlag“ die Rede gewesen.
Kumulative Gesamtkausalität
Sämtliche sonstigen Fehlerquellen und Schadenmechanismen fielen ebenfalls in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Selbst wenn man wie die Beklagten von der Unaufklärbarkeit einzelner Ursachenzusammenhänge des Korrosionsgeschehens ausgehe, so liege die Auswahl der Materialien und die Herstellung einer festen Verbindung im Verantwortungsbereich der Beklagten. Alternativursachen für den erhöhten Metallabrieb (Übergewicht, Überbeanspruchung etc.) könnten ausgeschlossen werden.
Erkennbarkeit
Der Produktfehler sei zum Zeitpunkt der Inverkehrgabe im Jahr 2005 nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erkennbar gewesen. Es liege kein die Ersatzpflicht der Beklagten ausschließender Entwicklungsfehler i. S. von § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHG vor.
Der Innovationsgehalt des Prothesensystems, mit dem erstmals große Köpfe mit einer Metall-auf-Metall-Gleitpaarung konzipiert wurden, sei insgesamt als hoch zu bewerten. Das Risiko, dass aus modularen Steckverbindungen Metallpartikel bzw. -ionen austreten können und dies zu Gesundheitsschäden wie entzündlichen Gewebeprozessen oder Prothesenlockerung und -versagen führen könne, sei 2005 bekannt gewesen. Ebenso sei bekannt gewesen, dass der Fügekraft für die Herstellung einer stabilen Konussteckverbindung und zur Vermeidung von Korrosion eine wesentliche Bedeutung zukomme.
Die Beklagten hätten zwar die Gleitpaarung, nicht aber die Konussteckverbindung zureichend getestet. Zum Zeitpunkt der Inverkehrgabe hätten jedoch Labortestverfahren zur Konusfestigkeit und Tests der Konussteckverbindung am Hüftsimulator zur Verfügung gestanden, des Weiteren elektrochemische Testaufbauten. Es seien zudem bereits Finite-Elemente-Analysen (Computeranalysen) in der biomechanischen Wissenschaft etabliert gewesen.
Zudem müsse ein Medizinprodukt die Grundlegenden Anforderungen i. S. des § 7 MPG erfüllen. Hierzu hätte die Beklagte zwingend klinische Studien an einem kleinen Patientenkollektiv durchführen müssen, denn wegen des hohen Innovationsgehalts bei mehreren Bauteilen sei die bloße Auswertung der bestehenden Studienlage unzureichend gewesen.
In Kenntnis der mit dem Prothesensystem einhergehenden Risiken von erhöhtem Metallabrieb, Konuslockerung und Osteolysen wäre zwingend zumindest eine Zurückstellung der Markteinführung und weitere Testung geboten gewesen.
Zu keinem anderen Ergebnis führe eine Nutzen-Kosten-Abwägung, da dem Nutzen größerer Beweglichkeit und einem geringeren Luxationsrisiko die Risiken einer Gesundheitsgefährdung und eines Prothesenversagens gegenüberstanden.
Gesundheitsschaden
Die Osteolysen am Oberschenkelknochen des Klägers und der inflammatorische Pseudotumor am Gelenk beruhten auf dem erhöhten Metallabrieb und indizierten die Revisionsoperation.
Bei der Bemessung des Schmerzensgelds seien insbesondere die Osteolyse, die Notwendigkeit einer Revisionsoperation und die Ungewissheit über den Krankheitsverlauf bis zu diesem Eingriff zu berücksichtigen. Der Heilungsverlauf nach dem Revisionseingriff sei komplikationsfrei gewesen.
Deutschland – LG Köln: VW haftet gegenüber dem Käufer eines gebrauchten Skoda wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Rückzahlung des Kaufpreises
Das Landgericht Köln hat entschieden, dass die Volkswagen AG dem Käufer eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs den Kaufpreis abzüglich der gezogenen Nutzungen erstatten muss (Urteil vom 2. Oktober 2018, Az.: 7 O 40/18).
Der Kläger hatte am 21. September 2015 einen Pkw der Marke Skoda zum Preis von brutto EUR 14.829 erworben, der zu diesem Zeitpunkt eine Laufleistung von 75.260 km aufwies. In der Folge erfuhr der Kläger, dass dieses Fahrzeug mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet war, in den eine Software implementiert war, die den Stickstoffausstoß verringerte, wenn das Fahrzeug einen Fahrzyklus zur Abgasprüfung durchlief. Im Normalbetrieb hielt der Motor die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm nicht ein.
Der Kläger forderte die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 24. Januar 2018 zur Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkw auf.
Das LG Köln verurteilte die Beklagte, an den Kläger EUR 8.700,94 nebst Zinsen zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, und stellte fest, dass die Beklagte sich im Annahmeverzug befand. Ferner wurde die Beklagte dazu verurteilt, dem Kläger die vorgerichtlichen Anwaltskosten nebst Zinsen zu erstatten.
Die Beklagte habe durch die Ausstattung der Motoren mit der erwähnten Steuergerätsoftware sittenwidrig i. S. des § 826 BGB gehandelt. Die Verwendung der Software sei allein aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen erfolgt und diente ausschließlich der gezielten Manipulation behördlicher Abgasmessungen und der Erlangung der EU-Typgenehmigungen. Letztlich habe die Beklagte sich hinsichtlich der von ihr entwickelten Motoren den Zugang zu einem aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes reglementierten Markt erschlichen. Dabei habe sie nicht nur die Behörden, sondern auch die Käufer getäuscht.
Auf die Frage, ob es sich bei der Motorsteuerungssoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handele, komme es nicht an. Ebenso komme es auch nicht auf die Frage an, ob Abweichungen zwischen auf dem Prüfstand und auf der Straße gemessenen Abgaswerten normal und gesetzlich zulässig seien, da die Käufer berechtigterweise davon ausgehen durften, dass das Ergebnis der Abgasprüfung nicht durch den Einsatz einer Manipulationssoftware beeinflusst sei.
Dem Kläger sei durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein Vermögensschaden entstanden, weil er den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn er von der Manipulationssoftware gewusst hätte. Im Allgemeinen spielten Fragen der Umweltfreundlichkeit, die Qualität des Motors, die zu erreichenden Abgaswerte und die Schadstoffklassifizierung keine völlig untergeordnete Rolle im Rahmen der Kaufeinscheidung für einen Pkw. Letztlich wolle kein Käufer ein mit rechtlichen Bedenken belastetes Fahrzeug erwerben.
Die Mitarbeiter der Beklagten hätten vorsätzlich gehandelt. Die Entwicklung der Motorsteuerungssoftware und ihr millionenfacher Einsatz in Fahrzeugen des VW-Konzerns könne nur absichtlich, nämlich ausschließlich zur Steigerung von Umsatz und Gewinn auf Kosten der Fahrzeugkäufer erfolgt sein. Insbesondere sei beabsichtigt gewesen, Fahrzeugkäufer – auch hinsichtlich Fabrikaten der Tochtergesellschaften der Beklagten – zu Vertragsschlüssen zu bewegen.
Die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung sei der Beklagten gem. § 31 BGB zuzurechnen. Es liege nahe, dass den Personen, die über die Entwicklung, Finanzierung und den Einsatz der Software in mehreren Millionen Fällen zu entscheiden hätten, eine Repräsentantenstellung zukomme. Die Beklagte wisse im Gegensatz zum Kläger, wer die maßgeblichen Entscheidungen zur Entwicklung und zum Einsatz der Manipulationssoftware getroffen habe. Der Einwand der Beklagten, derzeit noch umfangreiche Nachforschungen zu betreiben, sei unzureichend. Die Beklagte habe damit ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt, sodass der Vortrag des Klägers gem. § 138 ZPO als zugestanden zu behandeln sei.
Der Umstand, dass der Kläger das Fahrzeug zurückgeben wolle, anstatt das von der Beklagten angebotene Update für die Steuergerätsoftware zu installieren, sei weder treuwidrig i. S. des § 242 BGB, noch verstoße der Kläger damit gegen seine Schadenminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB. Wenn das Update tatsächlich keine negativen Auswirkungen haben sollte, dränge sich die Frage auf, warum die betreffenden Motoren dann nicht von vornherein mit der modifizierten Steuerungssoftware entwickelt worden seien. Solange diese Frage nicht nachvollziehbar und erschöpfend beantwortet sei, sei das verlorene Vertrauen des Klägers in die Beklagte als Konstrukteurin des Motors in seinem Pkw nicht als wiederhergestellt anzusehen und ihm ein Behaltenmüssen des Pkw nicht zuzumuten.
Der Wert der gezogenen Nutzungen, die der Kläger sich im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen müsse, sei anhand einer vom Gericht gem. § 287 ZPO geschätzten Gesamtlaufleistung des Pkw von 250.000 km zu ermitteln. Bei einer Laufleistung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von 147.471 km ergebe sich ein Nutzungsersatz von EUR 6.128,06.
Nach Angaben von VW sind in Deutschland derzeit 26.600 Verfahren von Käufern eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs anhängig. Die rund 7.400 ergangenen erstinstanzlichen Urteile seien überwiegend zugunsten VWs ausgefallen. Die Anzahl der im Berufungsverfahren durch Vergleich beigelegten Verfahren sei gering.
EU/Deutschland – Anwaltverein regt Anpassung der Produkthaftungsrichtlinie an technische Entwicklungen an
Der Ausschuss Informationsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hat zu den bisherigen Plänen der Europäischen Kommission zu den für Mitte 2019 angekündigten Leitlinien zur Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG (s. PHi 2018, 100 f.) Stellung genommen (Stellungnahme SN 55/18 vom 7. November 2018).
Der DAV weist darauf hin, dass es bislang an einer rechtssicheren Einordnung von Software fehle. Die Kommission sollte klarstellen, dass Software ein Produkt i. S. der Richtlinie sei. Schließlich könne Software durch die Beschädigung von Dateien erhebliche Sachschäden und beim Einsatz in Produkten bspw. zur medizinischen Diagnostik auch Gesundheitsbeeinträchtigungen verursachen. Denkbar wäre eine Privilegierung von Anbietern, die Software quelloffen zur Verfügung stellten.
Sei die Software Teil eines anderen Gegenstands, so sollten sowohl der Hersteller des Produkts als auch der Hersteller der Software als Hersteller für Fehler haften. Jedes Softwareupdate des Produkts, das durch den Hersteller erfolge (oder aufgrund einer Empfehlung des Herstellers durch den Kunden), sollte als neues Inverkehrbringen angesehen werden.
Geklärt werden sollte auch die Frage, ob die Beschädigung von Software durch eine andere fehlerhafte Software eine haftungsbegründende Beschädigung einer Sache i. S. von Art. 9 der Richtlinie darstelle.
Klarstellungen seien auch erforderlich hinsichtlich der Haftung eines Herstellers, der sich bei der Produktherstellung autonomer und selbstlernender Systeme bediene, und zur Haftung des Herstellers von Dateivorlagen für den 3-D-Druck.
USA – Gericht reduziert Schadensersatz gegen Monsanto von USD 289 Mio. auf USD 78 Mio.
Eine Richterin des Superior Court of the State of California for the County of San Francisco hat am 22. Oktober 2018 die von der Jury zuvor zugesprochenen Punitive Damages von USD 250 Mio. auf USD 39.253.209,35 Mio. gekürzt (Dewayne Johnson v. Monsanto Company, Case No. CGC-16-550128).
Die Jury des Gerichts hatte dem Kläger am 10. August 2018 kompensatorischen Schadensersatz i. H. von USD 39.253.209,35 Mio. zugesprochen und Punitive Damages i. H von USD 250 Mio. (s. PHi 2018, 194). Die Jury war zu dem Schluss gekommen, dass die Unkrautvernichter Roundup Pro und Ranger Pro die berechtigten Sicherheitserwartungen der Verbraucher nicht erfüllten und dass Monsanto es unterlassen habe, vor den Risiken zu warnen, obwohl diese Risiken für Monsanto vorhersehbar gewesen seien.
Die Richterin erklärte, dass der Kläger nicht klar und überzeugend bewiesen habe, dass Monsanto mit Absicht gehandelt habe. Die Punitive Damages dürfen daher von Verfassungs wegen die Höhe des kompensatorischen Schadensersatzes nicht überschreiten. Den Antrag von Bayer und Monsanto auf eine Neuverhandlung des Verfahrens (Judgment Notwithstanding the Verdict) hinsichtlich der Haftungsfrage wies sie zurück.
Der Kläger, der eine Lebenserwartung von einigen Monaten bis maximal zwei Jahren hat, verzichtete am 26. Oktober 2018 darauf, die Kürzung des Strafschadensersatzes anzufechten, um die Belastung durch eine Neuverhandlung oder ein Berufungsverfahren zu vermeiden, und akzeptierte einen Gesamtschadensersatz von USD 78.506.418,70. Er behielt sich aber das Recht vor, doch noch gegen die Kürzung der Punitive Damages vorzugehen, falls die Beklagte gegen die Entscheidung vom 22. Oktober 2018 Berufung einlegen und dem Kläger die Vorteile, die er durch seinen Verzicht erlangen wollte, entziehen sollte.
Monsanto teilte am 20. November 2018 mit, dass das Unternehmen sowohl gegen das Jury-Urteil als auch gegen die Entscheidung des Gerichts Berufung eingelegt habe. Die angefochtenen Entscheidungen würden weder von den vorgelegten Beweisen noch vom Recht gestützt.
Ausgabe von September 2018
Deutschland – BGH: Nichtweiterleitung von Arztbriefen kann grober Behandlungsfehler sein
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Arzt sicherstellen muss, dass ein Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden (und ggf. der angeratenen Behandlung) Kenntnis erhält, und zwar auch dann, wenn diese nach Ende des Behandlungsvertrags bei ihm eingehen (Urteil vom 26. Juni 2018, Az.: VI ZR 285/17).
Der Kläger hatte am 31. Juni 2008 die Beklagte, seine langjährigen Hausärztin, wegen Schmerzen im linken Bein und Fuß aufgesucht. Die Beklagte überwies ihn an die Streithelferin, die die fachärztliche Behandlung fortsetzte. Die Arztbriefe bezüglich der folgenden radiologischen und neurochirurgischen Untersuchungen wurden der Streithelferin zugesandt und nicht der Beklagten. Am 24. Oktober 2008 überwies die Streithelferin den Kläger zur stationären Krankenhausbehandlung, wo das bei den Untersuchungen entdeckte Geschwulst am 30. Oktober 2018 mikrochirurgisch resektiert wurde.
Der Entlassungsbrief des Klinikums vom 4. November 2008 wurde der Beklagten zugeschickt, wobei er laut Vermerk nachrichtlich auch der Streithelferin und dem zunächst behandelnden Krankenhaus zugesandt worden war. Mit Arztbrief vom 9. Januar 2009 informierte das Klinikum die Beklagte nach Vorliegen des histologischen Befundes wie folgt:
„Am 30. Oktober 2008 erfolgte die Resektion eines Nervenscheidentumors im Bereich der linken Kniekehle. Entgegen der vermuteten Diagnose eines Neurinoms stellt sich bei der Durchsicht der Präparate im Referenzzentrum ein maligner Nervenscheidentumor dar. Wir bitten, den Patienten in einem onkologischen Spezialzentrum (z. B. Universitätsklinik Düsseldorf) vorzustellen."
In dem Arztbrief waren außer der Beklagten und ihren Praxiskollegen keine weiteren Empfänger angegeben. Eine Weiterleitung oder sonstige Information an den Kläger erfolgte nicht. Erst als der Kläger, der zuletzt im August 2008 in der Praxis der Beklagten vorstellig geworden war, die Beklagte am 17. Mai 2009 wegen einer Handverletzung aufsuchte, kam das Gespräch auf die Bösartigkeit des im Oktober 2008 entfernten Tumors. Bei der nun folgenden Weiterbehandlung im Universitätsklinikum wurde festgestellt, dass sich im Bereich der linken Kniekehle ein Rezidiv des Nervenscheidentumors gebildet hatte. Es folgten weitere stationäre Aufenthalte und Operationen.
Der Kläger nahm die Beklagte wegen eines Behandlungsfehlers auf Schmerzensgeld, weiteren Schadensersatz, Feststellung und Freistellung von vorgerichtlichen Kosten in Anspruch. Das Landgericht Mönchengladbach gab der Klage teilweise statt, das Oberlandesgericht Düsseldorf wies auf die Berufung der Beklagten hin die Klage insgesamt ab.
Der Bundesgerichtshof hob das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück:
Die Beklagte habe ihre ärztlichen Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt, weil sie ihn über die Diagnose eines malignen Nervenscheidentumors und die Behandlungsempfehlungen des Klinikums nicht informiert habe. Zwar sei durch die Überweisung an die Streithelferin die Verantwortung für die weitere Behandlung grundsätzlich zunächst an die Streithelferin und in der Folge an die weiterbehandelnden Krankenhäuser übergegangen. Dem Umstand, dass der Arztbrief vom 9. Januar 2009 allein an die Beklagte gerichtet war und eine unmittelbar an sie gerichtete Handlungsaufforderung enthielt, konnte die Beklagte jedoch unschwer entnehmen, dass die behandelnden Ärzte des Klinikums sie als weiterbehandelnde Ärztin ansahen. Auch wenn dies aus Sicht der Beklagten irrtümlich und daher fehlerhaft war, durfte sie das Schreiben nicht unbeachtet lassen und damit sehenden Auges eine Gefährdung ihres Patienten hinnehmen. Aufgrund des Umstands, dass sie die langjährige Hausärztin des Klägers war, hätte sie damit rechnen müssen, dass der Kläger sie im Rahmen einer Krankenhausbehandlung als Empfängerin etwaiger Arztbriefe angeben werde.
Ob die Beklagte zum Zeitpunkt der Erhalts des Arztbriefs mit dem Kläger in einem Behandlungsverhältnis gestanden habe, könne dahinstehen. Der Arzt habe sicherzustellen, dass der Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden Kenntnis erhält, auch wenn diese nach dem Ende des Behandlungsvertrags bei ihm eingehen. Ihn treffe eine aus dem Behandlungsvertrag nachwirkende Schutz- und Fürsorgepflicht. Der Arzt, der als Einziger eine solche Information bekommt, müsse den Informationsfluss aufrechterhalten, wenn sich aus der Information nicht eindeutig ergebe, dass der Patient oder der diesen weiterbehandelnde Arzt sie ebenfalls erhalten habe.
Für die Frage, ob ein Behandlungsfehler als grob zu bewerten ist, komme es nicht darauf an, ob ein solcher Fehler unter den gegebenen Umständen im alltäglichen Ablauf geschehen könne. Aus dem Umstand, dass der Brief vom 9. Januar 2009 allein an die Beklagte gerichtet war, ergebe sich unmittelbar, dass sie vom Klinikum entgegen den üblichen Abläufen als behandelnde Ärztin angesehen worden war. Dass es daneben weitere Arztbriefe oder Informationen in mündlicher Form an die eigentlich weiterbehandelnden Ärzte gegeben haben könnte, habe der gerichtliche Sachverständige als „völlig untypisch“ bezeichnet. Zudem sei der Beklagten bereits im vorangegangenen Arztbrief, den sie im Original erhielt, mitgeteilt worden, dass das Klinikum sie als einweisende Ärztin ansah. Des Weiteren müsse gerade ein in der Langzeitbetreuung und damit auch interdisziplinären Koordination tätiger Hausarzt damit rechnen, dass seine Patienten ihn im Rahmen einer Krankenhausbehandlung als Ansprechpartner angeben.
Europa – Nanomaterialien als UV-Filter in Sonnencremes wohl unbedenklich
Der Wissenschaftliche Ausschuss für Verbrauchersicherheit der Europäischen Kommission (Scientific Committee on Consumer Safety – SCCS) hat mitgeteilt, dass Nanomaterialien als UV-Filter in Sonnenschutzmitteln zum Auftragen nach dem derzeitigen Forschungsstand als sicher einzustufen sind.
Die Verwendung von Nanomaterialien in Kosmetika ist in Art. 16 der Kosmetikverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1223/2009) geregelt. Bereits 2013 kam der SCCS zu dem Schluss, dass die Verwendung von Nano-Titandioxid bis zu einer Konzentration von 25 % als UV-Filter in Sonnenschutzmitteln sowohl sicher ist, wenn das Produkt auf gesunde und unversehrte Haut aufgetragen wird, als auch, wenn die Haut bereits sonnengeschädigt ist (SCCS/1516/13). Der SCCS wies aber darauf hin, dass sich diese Einschätzung nur auf Titandioxid-Nanopartikel beziehe, die bei der Untersuchung vorgelegen hatten, bzw. Titandioxid-Nanomaterialien mit einer ähnlichen Beschaffenheit. Unter anderem dürfe der Median der Partikelgröße lediglich 30 - 100 nm oder mehr betragen. Zudem seien nur Titandioxid-Nanomaterialien mit bestimmten Beschichtungen untersucht worden.
Nach einer Untersuchung im Jahr 2016 stufte der SCCS drei weitere Arten von beschichteten Titandioxid-Nanomaterialien (Beschichtung: Siliziumdioxid oder Cetylphosphat; Aluminiumoxid und Mangandioxid; Aluminiumoxid und Triethoxycaprylylsilane) als sicher ein (SCCS/1580/16). Bei der Anwendung in Produkten, die verschluckt werden können, wie die Farbe von Lippenstiften, müsse aber die schädigende Wirkung von Mangandioxid berücksichtigt werden.
Die Sicherheit von Titandioxid-Nanomaterialien in Sprays oder Pudern, die in die Lungen geraten könnten, könne nach dem derzeitigen Informationsstand nicht beurteilt werden (SCCS/1583/17).
Der SCCS weist darauf hin, dass diese Einschätzungen darauf basierten, dass nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft Titandioxid-Nanopartikel nicht über die Haut aufgenommen werden können. Sollten neue Erkenntnisse ergeben, dass die Partikel doch die Haut durchdringen und lebende Zellen erreichen können, sei die Bewertung neu vorzunehmen. Zudem bestünden Kenntnislücken in Bezug auf die Aufnahme von Nanopartikeln durch Schnittverletzungen oder Schürfwunden und bei wiederholter bzw. Langzeitanwendung von Sonnenschutzmitteln.
Abschließend stellte der SCCS fest, dass nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht die Verwendung von Sonnenschutzmitteln problematisch sei, sondern wegen des Hautkrebsrisikos deren Nichtverwendung.
USA – USD 289 Mio. Schadensersatz gegen Monsanto wegen glyphosathaltigen Unkrautvernichtungsmitteln
Die Jury des Superior Court of the State of California for the County of San Francisco hat am 10. August 2018 dem Kläger Dewayne Johnson gegen die Monsanto Company materiellen Schadensersatz in Höhe von USD 819.882 für bereits entstandene Schäden und in Höhe von USD 1.433.327 für zukünftige Schäden, ein Schmerzensgeld für die Vergangenheit in Höhe von USD 4 Mio. und für die Zukunft in Höhe von USD 33 Mio. sowie Punitive Damages in Höhe von USD 250 Mio. zugesprochen (Dewayne Johnson v. Monsanto Company, Case No. CGC-16-550128).
Das Gericht entschied im beschleunigten Verfahren, da der 46jährige Kläger an einem Non-Hodgkin-Lymphom erkrankt ist und in absehbarer Zeit sterben wird. Der Kläger arbeitete als Platzwart für den Benicia Unified School District in der Nähe von San Francisco und wandte dabei in den Jahren 2012 - 2015 20- bis 30-mal im Jahr den Unkrautvernichter Roundup Pro bzw. Ranger Pro der beklagten Monsanto Company an. Dabei erlitt er zweimal einen Unfall, bei dem er mit dem Produkt durchnässt wurde. Der erste Unfall geschah 2012. Im August 2014 wurde bei dem Kläger ein Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert.
Im März 2015 befand die International Agency for Research on Cancer der WHO (IARC), dass das in Roundup enthaltene Herbizid Glyphosat möglicherweise krebserregend sei. Mehrere Fall-Kontroll-Studien hätten ein gesteigertes Risiko gezeigt, am Non-Hodgkin-Syndrom zu erkranken. Der Kläger verklagte daraufhin 2016 Monsanto wegen seiner Krebserkrankung auf Schadensersatz.
Monsanto berief sich auf mehr als 800 Studien, die belegten, dass Glyphosat nicht krebserregend sei. Die Klägervertreter wandten dagegen ein, dass die Wechselwirkung zwischen Glyphosat und den anderen Inhaltsstoffen von Roundup einen „synergistischen Effekt“ habe, der das Produkt krebserregender als reines Glyphosat mache.
Die Jury kam zu dem Schluss, dass die Unkrautvernichter Roundup Pro und Ranger Pro die berechtigten Sicherheitserwartungen der Verbraucher nicht erfüllten. Obwohl die Risiken der Produkte für Monsanto vorhersehbar gewesen seien, habe Monsanto es unterlassen, vor den Risiken zu warnen. Monsanto hafte sowohl aus verschuldensunabhängiger Haftung (strict liability) als auch wegen Fahrlässigkeit (negligence).
Monsanto hat Rechtsmittel gegen das Jury-Urteil eingelegt. Mittlerweile sind gegen Monsanto wegen Roundup mehr als 4.000 Klagen vor bundesstaatlichen Gerichten anhängig. Ca. 400 weitere Verfahren wurden zu einer Multidistrict Litigation vor dem U.S. Distrtict Court for Northern District of California zusammengefasst (In re: Roundup Products Liability Litigation, MDL No. 2741).
USA – Handfeuerwaffen aus dem 3D-Drucker
Am 27. August 2018 hat der U.S. District Court for the Western District of Washington seine einstweilige Verfügung vom 31. Juli 2018 bis zur Entscheidung in der Hauptsache verlängert. Die Verfügung verbietet es dem Antragsgegner Defense Distributed, Pläne für den 3D-Druck von Handfeuerwaffen zum Download bereitzustellen (State of Washington, et al., v. United States Department of State, et al., C18-1115-RSL).
Auslöser für das Klageverfahren war ein Vergleich, den das Unternehmen Defense Distributed im Juli 2018 mit dem U.S. Department of State geschlossen hatte. Defense Distributed kündigte an, die Baupläne für die Waffen ab dem 1. August 2018 zu veröffentlichen. Tatsächlich stellte Defense Distributed die Pläne bereits am 27. Juli 2018 online.
Wegen des Vergleichs verklagten zunächst acht US-Bundesstaaten und der District of Columbia (nachfolgend schlossen sich noch elf weitere Bundesstaaten der Klage an) u. a. das Directorate of Defense Trade Controls, das U.S. Department of State, die Second Amendment Foundation, Inc., und Defense Distributed vor dem U.S. District Court for the Western District of Washington. Der Vergleich greife unrechtmäßig in die Polizeigewalt der Bundesstaaten ein und behindere sie bei der Durchsetzung der Gesetze zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, indem Personen, denen der Erwerb von Handfeuerwaffen verboten sei (wie Kindern, Straftätern und psychisch Kranken), Zugang zu diesen Bauplänen gewährt werde. Die beklagte Second Amendment Foundation und Defense Distributed berufen sich auf die Redefreiheit und das Recht, Waffen zu tragen. Kritiker sprechen von "Open Source-Terrorismus".
Pläne für den 3D-Druck von Teilen von Handfeuerwaffen wurden bereits 2012 online gestellt. Ein erster Entwurf für eine komplette Handfeuerwaffe aus dem 3D-Drucker wurde von dem Gründer von Defense Distributed im Mai 2013 veröffentlicht. Der US-Kongress ergänzte 2013 den U.S. Undetectable Firearms Act um die Regelung, dass alle Feuerwaffen mindestens 105 g Metall enthalten müssten, damit sie von Metalldetektoren erkannt werden könnten. Außerdem müsse jede Feuerwaffe über eine Seriennummer verfügen. Mittlerweile muss im US-Bundesstaat Kalifornien auch für selbstgebaute Waffen eine Seriennummer beantragt werden.
Die Waffen aus dem 3D-Drucker sind aus Plastik, das mit einem Metallnagel als Schlagbolzen ergänzt wird. Hinzu kommt ein weiteres 170 g schweres Metallbauteil, das gemäß dem U.S. Undetectable Firearms Act die Entdeckung der Waffe durch Metalldetektoren ermöglichen soll. In der Praxis können die beiden Metallbauteile gesondert transportiert werden, damit die Waffe nicht von Metalldetektoren erkannt wird.
Die Plastikwaffen sind grundsätzlich funktionstüchtig, aber gefährlich in der Anwendung, da Plastik bereits bei 240°C schmilzt. Dies ermöglicht es aber auch, die Waffe relativ einfach zu entsorgen. Metall-3D-Drucker sind derzeit nur im wissenschaftlichen/industriellen Bereich verfügbar.
Auch wenn es bislang noch einfacher ist, durch Diebstahl oder über den Schwarzmarkt illegal an eine Waffe zu kommen, ist mit Verbesserung des 3D-Drucks und sinkenden Preisen für diese Geräte zu erwarten, dass ein neuer Zweig des illegalen Waffenhandels entstehen wird.
Als Reaktion auf die gerichtliche Verfügung bietet das Unternehmen Defense Distributed seit dem 28. August 2018 auf seiner Website die Baupläne auf USB-Sticks zum Preis von USD 10 an. Da der Preis vom Käufer bestimmt werden kann, ist auch ein Erwerb für USD 0,01 möglich. An anderen Stellen des Internets sind die Pläne immer noch zum Download verfügbar. Nach der ersten Veröffentlichung der Baupläne kamen die meisten Downloads aus Spanien, gefolgt von den USA, Brasilien, Deutschland und dem Vereinigten Königreich.
Ausgabe von Mai 2018
Deutschland – Regierungsentwurf zur Musterfeststellungsklage
Am 9. Mai 2018 hat das Bundesjustizministerium einen Regierungsentwurf (Stand 3. Mai 2018) zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vorgelegt. Das Gesetz soll nach dem Willen der Koalition am 1. November 2018 in Kraft treten, um Musterfeststellungsverfahren noch vor Anspruchsverjährung im sog. VW-Abgasskandal zu ermöglichen.
Der Entwurf berücksichtigt zahlreiche Kritikpunkte, die der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) am 12. April 2018 in seiner Stellungnahme zu einer früheren Fassung des Regierungsentwurfs (Stand 16. März 2018) vorgebracht hatte. Im Vergleich zum Diskussionsentwurf vom 31. Juli 2017 (vgl. PHi 2017, 186 f., sowie Schramm/Zürn, PHi 2018, 25 ff.) wurden insbesondere folgende Änderungen vorgenommen:
Klagebefugt (die Anforderungen sind kumulativ) sind gem. § 606 Abs. 1 ZPO-E nunmehr nur noch qualifizierte Einrichtungen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG), die
- als Mitglieder mindestens zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben,
- mindestens vier Jahre eingetragen sind (Liste nach § 4 UKlaG oder Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 4 der Richtlinie 2009/22/EG),
- in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehmen,
- Musterfeststellungsklagen nicht zum Zweck der Gewinnerzielung erheben und
- nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen.
Bestehen ernsthafte Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen Nr. 4 und Nr. 5, verlangt das Gericht vom Kläger die Offenlegung seiner finanziellen Mittel.
Gemäß § 606 Abs. 3 ZPO-E ist die Musterfeststellungsklage nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass von den Feststellungszielen der Klage die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen und zwei Monate nach öffentlicher Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung ins Klageregister wirksam angemeldet haben.
Die Musterfeststellungsklage ist gem. § 607 Abs. 2 ZPO-E auf Veranlassung des Gerichts innerhalb von 14 Tagen nach ihrer Erhebung öffentlich bekannt zu machen. Verbraucher können ihre Ansprüche/Rechtsverhältnisse gem. § 608 Abs. 1 ZPO-E nicht mehr (wie noch im Diskussionsentwurf vorgesehen) bis zum Ende der mündlichen Verhandlung, sondern nur noch bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins zur Eintragung in das Klageregister anmelden. Dies gilt ebenso für die Rücknahme der Anmeldung. Der Verbraucher muss bei der Anmeldung gem. § 608 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO-E die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben versichern.
Gemäß § 613 ZPO-E bindet das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil das zur Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem Beklagten berufene Gericht, soweit dessen Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft.
Die im Diskussionsentwurf vorgesehene Möglichkeit einer Streitwertminderung, die zu einer Aufweichung des loser pays-Prinzips geführt hätte, wurde ersatzlos gestrichen.
Unberücksichtigt blieben die Forderungen des GDV, dass bei einem Vergleich gem. § 611 ZPO-E der auf die Anmelder entfallende Betrag im Durchschnitt nicht höher liegen dürfe als die durchschnittliche angemeldete Schadenhöhe, um einem „Strafschadensersatz durch die Hintertür“ vorzubeugen. Auch von einer Minderung der Anwaltsgebühren für die sich an das Musterfeststellungsverfahren anschließenden Folgeverfahren wurde abgesehen.
Deutschland – OLG Hamm: Wegfall der Beweislastumkehr bei Missachtung ärztlicher Empfehlungen
Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass die mit einem groben ärztlichen Behandlungsfehler verbundene Beweislastumkehr entfallen kann, wenn ein Patient in vorwerfbarer Weise ärztliche Anordnungen oder Empfehlungen missachtet, dadurch eine mögliche Mitursache für den erlittenen Gesundheitsschaden setzt und so dazu beiträgt, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (Urteil vom 2. Februar 2018, Az.: 26 U 72/17). Das Urteil ist rechtskräftig.
Der damals 45-jährige Ehemann der Klägerin hatte am 26. Februar 2015 seinen Hausarzt wegen Thoraxbeschwerden aufgesucht. Dieser äußerte den Verdacht auf eine „instabile Angina pectoris“ und wies ihn in das Krankenhaus der Beklagten ein. Am 1. März 2015 verließ der Ehemann der Klägerin das Krankenhaus entgegen ärztlichem Rat. Am 5., 11. und 12. März 2015 suchte er nochmals seinen Hausarzt auf, der ihm am 12. März 2015 dringend eine Krankenhausbehandlung anriet. Am 20. März 2015 wies ihn der Hausarzt mit der Diagnose „Angina pectoris“ in ein anderes Krankenhaus ein. Der Ehemann der Klägerin stellte sich dort lediglich vor und vereinbarte einen Termin zur kardiologischen Abklärung für den 24. März 2015. Am Morgen des 22. März 2015 fand ihn die Klägerin tot in seinem Bett vor. Der Notarzt stellte als Todesursache „Herzversagen“ fest. Eine Obduktion unterblieb.
Die Klägerin forderte von der Beklagten ein Schmerzensgeld i. H. von mindestens EUR 2.000, Beerdigungskosten von EUR 4.557,33 und Unterhaltsansprüche für sich und die beiden Kinder (Jahrgang 1997 und 2002) von monatlich mindestens EUR 5.000,00. Ihr Ehemann sei fehlerhaft behandelt worden. Man habe nicht die erforderlichen medizinischen Maßnahmen ergriffen, obwohl die Beschwerden auf eine mögliche schwere Herzerkrankung hingewiesen hätten. Der Arztbericht sei zudem viel zu spät an den Hausarzt übersandt worden, und ihr Ehemann sei auch nicht auf das durch den Behandlungsabbruch bestehende Risiko hingewiesen worden.
Das Landgericht Arnsberg gab der Klage statt. Wegen der fehlenden ASS-Gabe habe ein grober Behandlungsfehler vorgelegen, der zur Beweislastumkehr führte. Der Mitverschuldenseinwand greife nicht durch, da der Sachverständige nicht habe feststellen könne, dass das Verhalten des Ehemanns zu seinem Tod beigetragen habe.
Das OLG Hamm hob auf die Berufung der Beklagten das Urteil auf und wies die Klage ab. Der Klägerin komme wegen des ganz erheblichen Mitverschuldens ihres Ehemanns keine Beweislastumkehr zugute, sodass sie nicht nachweisen könne, dass ihr Ehemann aufgrund der Behandlungsfehler an einer Herzerkrankung verstorben sei.
Zwar ließ die Vielzahl der Behandlungsfehler insgesamt einen groben Fehler annehmen, insbesondere wegen der nicht ausreichenden oder nicht ausreichend dokumentierten Anamnese, die letztlich dazu geführt habe, dass der Patient trotz seines erhöhten Cholesterinwerts im Hinblick auf seine thorakalen Beschwerden nicht korrekt als Risikopatient eingestuft wurde.
Der Ehemann der Klägerin habe aber zu dem Umstand, dass er bis zur weiteren Untersuchung im Krankenhaus bereits verstorben war und die genaue Ursache nicht mehr ermittelt wurde, durch seine stetige Weigerung, ärztlichen Rat zu befolgen in erheblichem Maß beigetragen. Obwohl letztlich jeder erwachsene Mensch wisse, dass thorakale Beschwerden verbunden mit Luftnot auf ein gefährliches Herzleiden hinweisen können, habe der Ehemann der Klägerin trotz des dringenden Rats seines Hausarztes am 12. März 2015, ins Krankenhaus zu gehen, entgegen der Einweisung am 20. März 2015 lediglich einen Termin zur kardiologischen Abklärung vereinbart und die sofortige Aufnahme verweigert.
Niederlande – Einführung von Hinterbliebenengeld
Am 1. Januar 2019 wird in den Niederlanden das Gesetz über die Einführung eines Hinterbliebenengelds („vergoeding van affectieschade“) in Kraft treten.
Die Erste Kammer des niederländischen Parlaments hat diesem Gesetz am 10. April 2018 zugestimmt, nachdem sie sich im Jahr 2010 noch dagegen gesperrt hatte.
Nach dem Gesetz haben Partner (ehelich und nicht ehelich), Kinder und Eltern einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gegen den Schädiger, wenn jemand – beispielsweise durch einen Verkehrsunfall, einen ärztlichen Behandlungsfehler oder eine Straftat – getötet oder schwer verletzt wird oder einen Dauerschaden erleidet.
Die Höhe des Hinterbliebenengelds ist gesetzlich festgelegt. Die persönlichen Umstände der Hinterbliebenen werden durch verschiedene Kategorien und Entschädigungsbeträge von EUR 12.500 bis EUR 20.000 berücksichtigt. Durch die Fixbeträge sollen den Hinterbliebenen lange und schmerzliche Verhandlungen über das Ausmaß ihres Leids erspart bleiben.
Das Gesetz soll fünf Jahre nach Inkrafttreten evaluiert werden.
USA – USD 117 Mio. Schadensersatz gegen Johnson & Johnson und Imerys wegen möglicherweise asbesthaltigen Körperpuders
Die Jury des Middlesex County Superior Court, New Jersey, hat Johnson & Johnson und Imerys S.A. zur Zahlung von Schmerzensgeld i. H. von USD 37 Mio. und USD 80 Mio. Punitive Damages verurteilt (Stephen Lanzo, et al. v. Cyprus Amax Minerals Co., et al.; No.: L00738516). Johnson & Johnson und Imerys werden gegen das Urteil Berufung einlegen.
Der 46-jährige ehemalige Investmentbanker Stephen Lanzo III behauptet, dass das Mesotheliom, an dem er erkrankt sei, durch die Anwendung von Johnson & Johnsons Shower to Shower-Körperpuder und Babypuder-Produkten in den Jahren 1972 bis 2003 verursacht worden sei. Diese Produkte enthielten mit Asbest verunreinigtes Talkum und seien die einzige Quelle, durch die er in seinem Leben mit Asbest in Berührung gekommen sein könne.
Die Jury des Superior Court sprach dem Kläger am 5. April 2018 ein Schmerzensgeld i. H. von USD 30 Mio. und seiner Ehefrau Kendra Lanzo über USD 7 Mio. zu. Auf Johnson & Johnson entfiel ein Haftungsanteil von 70 % (USD 25,9 Mio.), auf dessen Talkum-Lieferanten Imerys von 30 % (11,1 Mio.). Am 11. April 2018 verhängte die Jury gegen die Beklagten Punitive Damages i. H. von USD 55 Mio. (Johnson & Johnson) und USD 25 Mio. (Imerys). Die Jury war der Ansicht, dass Johnson & Johnson mindestens seit 1974 bekannt war, dass mit Asbest verunreinigtes Talkum ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt und das Unternehmen dieses Risiko bewusst verschwiegen hätte.
Die Beklagtenseite bestreitet, dass das verwendete Talkum Asbest enthielt. Der Kläger könne während seiner Schulzeit oder in dem Haus, in dem er aufgewachsen sei, mit Asbest in Berührung gekommen sein, da sich in dessen Keller 18 Meter mit Asbest umwickelte Rohrleitungen befanden.
Ausgabe von März 2018
Deutschland – Keine Haftung des Quasiherstellers wegen explodierter Tupperware-Flasche im Trinkwasser-Sprudler
Das Landgericht Offenburg hat in seiner mündlichen Verhandlung vom 5. März 2018 klargestellt, dass der Quasihersteller einer Trinkflasche nicht dafür haftet, dass diese zufällig auf einen Trinkwasseraufsprudler passt (Az.: 2 O 102/18).
Die damals 10 Jahre alte Klägerin hatte im Oktober 2015 eine mit dem Aufdruck „Tupperware“ versehene wiederbefüllbare Trinkflasche auf einen Trinkwasseraufsprudler aufgeschraubt. Bei der Hinzusetzung von Kohlensäure barst die Flasche explosionsartig. Die Klägerin wurde durch Splitter am linken Auge verletzt. Sie behauptet, dass sie heute nur noch über 80 % Sehfähigkeit auf dem linken Auge verfüge, an erhöhter Lichtempfindlichkeit und Angstzuständen leide und alltäglichen und sportlichen Aktivitäten nicht oder nur unter größter Vorsicht nachgehen könne.
Die Klägerin nahm Tupperware Deutschland als Quasiherstellerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch. Tupperware habe nicht darauf hingewiesen, dass die Flasche nicht an einen Trinkwasseraufsprudler angeschlossen werden dürfe, obwohl die Öffnung der Flasche mit dem Gewinde von gängigen Trinkwasseraufsprudlern kompatibel sei.
Das Gericht wies darauf hin, dass die Beklagte keine dahingehende Instruktionspflicht treffe. Der Hersteller des Trinkwasseraufsprudlers weise selbst darauf hin, dass lediglich spezielle Flaschen zur Aufsprudelung mit Kohlensäure benutzt werden dürften. Die Benutzergruppe des Aufsprudelgeräts müsse das Gefahrenpotenzial kennen.
Nachdem die Beklagte einen Vergleich ablehnte, wird am 4. Mai 2018 ein Urteil ergehen.
USA – Keine Rückrufmöglichkeit bei Feuerwaffen
US-amerikanische Behörden haben keine Möglichkeit, den Rückruf mangelhafter Feuerwaffen und Munition zu erzwingen.
Die 1972 eingerichtete U.S. Consumer Product Safety Commission ist nicht ermächtigt, Feuerwaffen und Munition zu regulieren. Ein entsprechender weiterer Gesetzentwurf wurde 1975 mit 339:80 Stimmen im US-Kongress abgelehnt. Das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives ist nur Aufsichtsbehörde für den Vertrieb von Feuerwaffen und Fälle unrechtmäßigen Besitzes.
In der Praxis führt dies dazu, dass die Besitzer mangelhafter Feuerwaffen von einer Rückrufaktion im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs nicht rechtzeitig erfahren und sich so nicht bewusst sind, dass ihre Waffe nicht sachgemäß funktioniert und daher ein zusätzliches Risiko darstellt. So wurde bspw. der vor dem U.S. District Court for the Southern District of Florida geschlossene Vergleich in der Sammelklage gegen den brasilianischen Hersteller Forjas Taurus SA sowie Taurus International Manufacturing, Inc. und Taurus Holdings, Inc. (Case No. 1:13-CV-24583-PAS), von dem ca. 955.796 Feuerwaffen betroffen waren, nicht einmal wie sonst üblich im offiziellen Mitgliedermagazin der National Rifle Association veröffentlicht. Im Rahmen dieses Vergleichs hatte Taurus auch davor gewarnt, dass die betroffenen Feuerwaffen selbst im gesicherten Zustand losgehen können, wenn sie herunterfallen oder gegen etwas stoßen.
USA – Kontamination durch Perfluoroctansäure: Klage auch bei reinem Vermögensschaden zulässig
Der U.S. District Court for the Northern District of New York hat in der Sache R.M. Bacon, LLC, et al. v. Saint-Gobain Performance Plastics Corp., et al. entschieden, dass die Klage eines Eigentümers eines mit Perfluoroctansäure (PFOA) kontaminierten Grundstücks wegen reiner Vermögensschäden nicht von vornherein unbegründet ist (Beschluss v. 20. Februar 2018, Case No. 1:17-CV-0441-LEK-DJS).
Die Kläger R.M. Bacon, LLC und Michael Bacon hatten gegen die Saint-Gobain Performance Plastics Corp. und Honeywell International Inc. geklagt, weil diese das Grundwasser von Hoosick Falls, New York, mit PFOA verseucht hatten. In einer kleinen Fabrik in dem Ort, die etwa im Jahr 1955 ihren Betrieb aufnahm, wurden fleckenabweisende Stoffe unter Verwendung von PFOA hergestellt (PFOA ist vor allem dafür bekannt, dass es für die Herstellung von Teflon verwendet wurde). Ein Unternehmen, das später mit der Beklagten Honeywell fusionierte, hatte die Fabrik 1986 erworben. Honeywell verkaufte sie 1997 an ein Unternehmen, das sie 1999 an die Beklagte Saint-Gobain veräußerte, in deren Eigentum die Fabrik bis heute steht.
Die Kläger behaupten, dass die Beklagten u. a. PFOA-haltige Abwasser direkt in den Boden abgelassen hätten. Im November 2015 empfahl die U.S. Environmental Protection Agency (EPA) den Einwohnern des Orts, das Leitungswasser wegen hoher PFOA-Werte nicht mehr zum Trinken und zur Zubereitung von Nahrungsmitteln zu verwenden. Als Folge der Kontamination und weil mehrere örtliche Banken ankündigten, keine Hypotheken mehr für Häuser in Hoosick Falls zu akzeptieren, verloren die Grundstücke in Hoosick Falls drastisch an Wert. Die von dem Kläger Michael Bacon im Jahr 1985 gegründete Firma R.M. Bacon, die 2015 noch das führende Bauunternehmen in einem Umkreis von 25 Meilen von Hoosick Falls war, erhielt seit 2016 keine neuen Aufträge mehr. Die dadurch im Jahr 2016 entgangenen Einkünfte beliefen sich auf ca. USD 1 Mio. Michael Bacon versuchte, das Firmengrundstück zu einem Preis von USD 100.000 unter dem Wert von 2015 zu verkaufen, fand aber keinen Interessenten. Am 19. April 2017 erhob R.M. Bacon Klage gegen Saint-Gobain.
Das Gericht entschied, dass den Beklagten eine vorsätzliche Geschäftsschädigung („tortious inference with prospective and existing business relationships“) mangels Vorsatzes nicht vorgeworfen werden könne und es nach dem Recht des Staats New York eine fahrlässige Geschäftsschädigung („negligent interference with prospective economic advantage“) nicht gäbe.
Im Hinblick auf die Klage der R.M. Bacon wegen fahrlässiger Schädigung („negligence“) genüge es, dass die Klägerin behauptete, dass sich die Pflicht der Beklagten, eine Verschmutzung des Grundwassers von Hoosick Falls zu vermeiden, auch auf Unternehmen erstrecke, die als Folge der PFOA-Kontamination Vermögensschäden erlitten haben, sofern sich diese Unternehmen in der Kontaminationszone befänden. Dies habe keine ausufernde Haftung zur Folge, weil sich nur eine endliche Anzahl an Betroffenen in der Kontaminationszone befinde.
Zur Begründung der Klage von Michael Bacon wegen negligence durch die Kontamination seines Grundstücks reiche die Behauptung aus, dass sein Grundstück kontaminiert sei. Das Ausmaß an Kontamination und die Auswirkung auf den Grundstückswert seien dann im Klageverfahren zu klären. Selbst wenn die Angst vor PFOA unbegründet sei, könne der Kläger immer noch eine Eigentumsschädigung geltend machen, solange der Verlust an Marktwert real sei, also niemand sein Grundstück kaufen wolle, weil es mit PFOA kontaminiert ist.
Vereinigtes Königreich – Asbeststaub: Anforderungen an die Schutzpflichten des Arbeitgebers in der Nachkriegszeit
Der England and Wales High Court (Queen‘s Bench Division) hat in einem obiter dictum klargestellt, dass ein Arbeitgeber in den Jahren 1946 - 1952 bereits dann gegen seine Pflichten aus dem Factories Act 1937 sowie dem Common Law verstoßen habe, wenn er seine Angestellten nur geringen Mengen an Asbeststaub aussetzte (Urteil vom 8. Februar 2018, Hawkes v. Warmex Ltd. [2018] EWHC 205 (QB)).
Die Mutter des Klägers, Doris Helen Hawkes, war am 23. Oktober 2014 im Alter von 88 Jahren an einem Mesotheliom gestorben. In den Jahren 1946 - 1952 sowie 1962 hatte sie bei der beklagten Warmex Ltd. in der Heizdeckenherstellung gearbeitet. Sie war der Auffassung, dass das Innenfutter dieser Heizdecken (die Schicht, durch sie die Heizdrähte fädelte) aus Asbest bestand. Ihr Sohn verklagte Warmex Ltd. auf Schadensersatz in Höhe von GBP 77.484.
Obwohl das Gericht bereits in Absatz 41 seines Urteils zu dem Schluss kam, dass die Klage unbegründet war, weil das Innenfutter der Heizdecken nicht aus Asbest bestand, prüfte es dennoch in den folgenden 61 Absätzen, ob die Beklagte bei Richtigkeit des Klägervortrags gegen die Asbestos Industry Regulations 1931 sowie § 47 Factories Act 1937 und das Common Law verstoßen hatte.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Beklagte, wenn das Innenfutter der Heizdecke aus Asbest gewesen wäre, gegen die Präambel der Asbestos Industry Regulations 1931 verstoßen hätte, weil die Fabrikräume nicht über ein Lüftungssystem verfügten, das das Eindringen von Asbeststaub in die Raumluft verhindern sollte.
Des Weiteren hätte die Beklagte auch gegen § 47 Factories Act 1937 und das Common Law verstoßen. Zwar sei in den Jahren 1946 - 1952 nicht bekannt gewesen, dass Asbestexposition zu Mesotheliomen führen konnte und schon gar nicht, dass hierfür sehr geringe Mengen an Asbestfasern (möglicherweise sogar nur eine einzelne) ausreichten. Dennoch sei auch damals vorhersehbar gewesen, dass Asbeststaub Krankheiten verursachen könne, und zwar auch in geringen Mengen. Auch wenn die genaue Anzahl an Asbestfasern in der Luft seinerzeit nicht ermittelt werden konnte, sei eine subjektive Einschätzung der Menge des bekanntermaßen gefährlichen Asbeststaubs möglich gewesen.
Als Arbeitgeber hätte die Beklagte daher die mehr als geringfügigen Staubmengen in den Fabrikräumen so weit wie praktikabel durch zumutbare Maßnahmen verringern müssen, zum Beispiel durch Veränderungen in den Arbeitsabläufen. Da die Beklagte keinerlei Maßnahmen dieser Art vornahm, hätte dieses Unterlassen, wenn das Innenfutter der Heizdecken aus Asbest gewesen wäre, angesichts der von der Mutter des Klägers beschriebenen Staubmengen einen Verstoß gegen § 47 Factories Act 1937 und das Common Law dargestellt.
Ausgabe von Januar 2018
Europäische Union/Frankreich – EuGH: Wann ist Software ein Medizinprodukt?
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Software, bei der eine der Funktionalitäten es ermöglicht, Patientendaten zu nutzen, um u. a. Kontraindikationen, Wechselwirkungen von Medikamenten und Überdosierungen festzustellen, in Bezug auf diese Funktionalität ein Medizinprodukt i. S. der Medizinprodukte-Richtlinie ist, auch wenn diese Software nicht unmittelbar im oder am menschlichen Körper wirkt (Urteil v. 7. Dezember 2017, C-329/16).
Das Syndicat national de l‘industrie des technologies médicales (Snitem) und Philips France hatten gegen den französischen Ministerpräsidenten und den Minister für Soziales und Gesundheit beim Conseil d‘État (Staatsrat) eine Klage auf Nichtigerklärung von Art. 1 Nr. 3 und Art. 2 des Décret n° 2014-1359 vom 14. November 2014 eingereicht. Dieses Dekret fügte dem Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch) die Art. R161-76-1 bis R161-76-9 hinzu, wonach jede Software, die den in einer Stadt, einer Gesundheitseinrichtung oder einer medizinisch-sozialen Einrichtung tätigen Ausstellern von Rezepten eine Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln bieten solle, ab 1. Januar 2015 der in Art. L161-38 vorgesehenen Zertifizierungspflicht unterliege.
Die Kläger sind der Ansicht, dass dieses Dekret Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln auf nationaler Ebene einer Zertifizierungspflicht unterstelle, obwohl diese Software in den Anwendungsbereich der Medizinprodukte-Richtlinie (93/42/EWG) falle und mit der CE-Kennzeichnung versehen sei. Dadurch verstoße das Dekret gegen Art. 4 der Medizinprodukte-Richtlinie, der es den Mitgliedstaaten verbiete, das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme von Medizinprodukten, die mit dieser CE-Kennzeichnung versehen sind, zu verhindern oder zu beschränken. Die Zertifizierungsmaßnahme könne auch nicht als Schutzmaßnahme i. S. von Art. 8 der Medizinprodukte-Richtlinie angesehen werden und verstoße zudem gegen Art. 34 AEUV, soweit die Verpflichtung, die Software an technische Normen anzupassen, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen darstelle.
Auf das Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d‘État vom 8. Juni 2016 führte der EuGH aus, dass gem. Art. 1 Abs. 2a der Medizinprodukte-Richtlinie Software ein Medizinprodukt i. S. dieser Richtlinie sei, wenn sie kumulativ die beiden Voraussetzungen hinsichtlich Zweck und Wirkung erfülle, die jedes Produkt dieser Art erfüllen müsse. Der EuGH wies darauf hin, dass der Wortlaut dieser Vorschrift durch Art. 2 der Richtlinie 2007/47/EG geändert worden sei. Im Erwägungsgrund 6 dieser Richtlinie werde klargestellt, dass Software, wenn sie spezifisch vom Hersteller für einen oder mehrere der in der Definition von Medizinprodukt genannten medizinischen Zwecke bestimmt sei, ein Medizinprodukt ist.
Im vorliegenden Fall handele es sich um eine Software, die Patientendaten mit Medikamenten abgleicht, die der Arzt verschreiben möchte, und ihm in automatisierter Form eine Analyse liefert, mit der u. a. etwaige Kontraindikationen, Wechselwirkungen von Medikamenten und Überdosierungen festgestellt werden sollen. Die Software werde daher für die Zwecke der Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten verwendet und verfolge somit einen spezifisch medizinischen Zweck.
Art. 1 Abs. 2a der Medizinprodukte-Richtlinie verlange zwar, dass bei einer Software, damit sie als Medizinprodukt angesehen werden kann, ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht werde. Wie sich aber aus Erwägungsgrund 6 dieser Richtlinie 2007/47/EG ergebe, wollte sich der Unionsgesetzgeber bei der Einstufung einer Software als Medizinprodukt auf ihren Verwendungszweck konzentrieren und nicht auf die Funktionsweise. Würde man eine solche Bedingung hinzunehmen, würde Art. 1 Abs. 2a der Medizinprodukte-Richtlinie teilweise seiner praktischen Wirksamkeit beraubt.
Diese Auslegung werde durch die „Leitlinien der Kommission zur Einstufung und Klassifizierung von in der Medizin verwendeter eigenständiger Software im Regelwerk für Medizinprodukte" (MEDDEV 2.1/6) bestätigt. Software, bei der es eine der Funktionalitäten ermögliche, Patientendaten zu nutzen, um u. a. Kontraindikationen, Wechselwirkungen von Medikamenten und Überdosierungen festzustellen, sei in Bezug auf diese Funktionalität ein Medizinprodukt. Software, die lediglich eine Datenbankfunktion habe und anhand derer aus Metadaten stammende Informationen gefunden werden könnten, ohne sie zu verändern oder zu interpretieren, dürfe nicht als Medizinprodukt angesehen werden. Die Grenzen und Schnittstellen der verschiedenen Module anzugeben, sei Sache des Herstellers.
Irland – Ärzte müssen Berufshaftpflichtversicherung nachweisen
Am 6. November 2017 ist in der Republik Irland der Medical Practitioners (Amendment) Act 2017 in Kraft getreten, der Ärzte zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet.
Ärzte, die erstmals ihre Approbation bei der Ärztekammer (Medical Council) beantragen, müssen ab sofort den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung nachweisen. Bereits zugelassene Ärzte müssen eine entsprechende Versicherung mit der Erneuerung ihrer Zulassung im Juni 2018 belegen. Alle Ärzte müssen bei der Beantragung der Approbation bzw. deren Erneuerung die „Professional Indemnity Declaration Form" (PIDF) ausfüllen.
Ein Arzt, der ausschließlich in einem der öffentlichen Krankenhäuser gem. Anhang 1 der PIDF praktiziert, also einen Anstellungsvertrag bei der Health Care Executive (HSE - gesetzliche Krankenversicherung der Republik Irland) hat, ist über das Clinical Indemnity Scheme (CIS) versichert.
Ärzte, die in einem der in Anhang 2 zur PIDF aufgeführten privaten Krankenhäuser arbeiten, müssen eine Bescheinigung ihres Versicherers, Maklers oder der sie versichernden Vereinigung (z. B. Medical Defense Union) vorlegen. Die Mindestversicherungssummen sind in Anhang 2 der PIDF festgelegt. Für Geburtshelfer und Gynäkologen, Neurochirurgen und Chirurgen, die Eingriffe an der Wirbelsäule durchführen, betragen die Mindestversicherungssummen EUR 608.278 pro Versicherungsfall und EUR 1.824.833 pro Jahr. Für andere Ärzte betragen sie EUR 1.216.555 ohne Jahresmaximum.
Ärzte, die außerhalb der in Anhang 1 und 2 der PIDF aufgelisteten Einrichtungen praktizieren, müssen ebenfalls eine Versicherungsbescheinigung vorlegen. Die Mindestversicherungssummen sind in Anhang 3 des PIDF aufgeführt. Sie reichen von EUR 30 Mio. (Anästhesie, Geburtshilfe und Gynäkologie, Neonatologie und Neurochirurgie) über EUR 20 Mio. (Notfallmedizin) und EUR 15 Mio. (u. a. Intensivmedizin, Chirurgie, medizinische Genetik, Kinderheilkunde) bis zu EUR 10 Mio. (u. a. Gynäkologie ohne Geburtshilfe, Allgemeinmedizin, Psychiatrie).
Hat ein Arzt keinen Versicherungsschutz, muss er dies der Ärztekammer innerhalb von 14 Tagen anzeigen. Legt er trotz Aufforderung durch die Ärztekammer nicht innerhalb von 21 Tagen eine Versicherungsbescheinigung vor, kann ihm die Kammer die Approbation entziehen.
Österreich – OGH: Mitverschulden bei medizinischer Behandlung durch Kosmetikerin
Der österreichische Oberste Gerichtshof hat entschieden, dass sich ein Geschädigter, der hätte erkennen müssen, dass der Behandler mangels erforderlicher Kenntnisse und Fähigkeiten nicht befähigt ist, die angebotenen Leistungen zu erbringen, und der sich dennoch auf die Behandlung eingelassen hat, ein Mitverschulden anrechnen lassen muss (Urteil v. 27. September 2017, Az.: 9Ob49/17x).
Die Klägerin hatte sich am 27. August 2012 von der Beklagten – einer Kosmetikerin – für ein Entgelt von EUR 200 sog. Fett weg-Spritzen setzen lassen. Die Beklagte hatte der Klägerin erklärt, dass sie diese Behandlung zwar mangels medizinischer Ausbildung nicht durchführen dürfe, sie es aber könne. Sie habe die Behandlung schon mehrfach bei sich selbst und anderen angewandt und das Ergebnis sei gut gewesen. Sie erklärte der Klägerin, dass bei dieser Behandlung Schwellungen und Blauverfärbungen eintreten könnten und sie über einen gewissen Zeitraum Schmerzen verspüren könne. Über den Umstand, dass das Präparat vom Hersteller nicht für eine solche Behandlung zugelassen ist, und die Gefahr weiterer, schwerwiegender Nebenwirkungen klärte die Beklagte die Klägerin nicht auf.
Bereits bei der Behandlung, bei der in jeden Oberschenkel ca. 15 Stiche gesetzt wurden, verspürte die Klägerin Schmerzen, und ihre Oberschenkel verfärbten sich blau und violett. In den Folgetagen entwickelten sich entzündete Schwellungen, von denen eine aufplatzte und ein drei Zentimeter tiefes Loch hinterließ. An den behandelten Stellen blieben Narben und zwei Verhärtungen zurück. Letztere ließ die Klägerin operativ korrigieren. Die optischen Folgen sind dennoch nicht vollständig beseitigt, das Gewebe ist schlaff und weist Unebenheiten und Dellen auf.
Die Klägerin forderte aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Schmerzen, die 16,25 Tage stark, 28,25 Tage mittelstark und 116 Tage leicht gewesen seien, ein Schmerzensgeld von EUR 25.000. Außerdem forderte sie Ersatz der Kosten für Korrekturoperationen von EUR 14.190, eine Verunstaltungsentschädigung von EUR 2.000 und EUR 350 für Heilbehelfe und Generalunkosten. Wegen der Gefahr von Spätfolgen forderte sie weiterhin die Feststellung der Haftung der Beklagten für die Folgen der Behandlung.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von EUR 22.266,67 (EUR 25.000 Schmerzensgeld, EUR 1.000 Verunstaltungsentschädigung, EUR 7.100 für die bereits durchgeführte Korrekturoperation, EUR 150 Heilbehelfe, EUR 150 Generalunkosten; insgesamt EUR 33.400, abzüglich ein Drittel Mithaftung) und legte ihr die Kosten des Verfahrens auf. Außerdem stellte es fest, dass die Beklagte zu zwei Dritteln für zukünftige Schäden aus der Behandlung hafte.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht statt, ließ aber die Revision der Klägerin nachträglich zu, da Rechtsprechung zur Reichweite der Aufklärungspflicht eines Nichtarztes bei Durchführung von Ärzten vorbehaltenen Tätigkeiten fehlte. Der OGH entschied, dass die Revision zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber unbegründet sei.
Ein Nichtarzt, der eine ärztliche Behandlung vornehme, habe über das Fehlen seiner ärztlichen Qualifikation aufzuklären. Unterlasse er dies, sei die Einwilligung des Behandelten in den Eingriff unwirksam. Daraus lasse sich aber nicht der Umkehrschluss ziehen, dass die Aufklärung über das Fehlen der ärztlichen Qualifikation dazu führe, dass das Risiko einer nicht fachgerechten Leistung ausschließlich beim Vertragspartner liege. Nach § 1299 ABGB gebe derjenige, der ohne Not freiwillig ein Geschäft übernehme, dessen Ausführung eigene Kunstkenntnisse oder einen nicht gewöhnlichen Fleiß erfordert, dadurch zu erkennen, dass er sich den notwendigen Fleiß und die erforderlichen, nicht gewöhnlichen Kenntnisse zutraue. Er müsse daher den Mangel desselben vertreten. § 1299 ABGB sehe vor, dass demjenigen, der von der Unerfahrenheit des Vertragspartners wusste oder bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit hätte wissen können, zugleich ein Versehen zur Last falle. Es komme zu einer Schadensteilung nach § 1304 ABGB.
Im vorliegenden Fall war der Klägerin bekannt, dass es sich um eine Behandlung handelte, die eine medizinische Ausbildung voraussetzte, über die die Beklagte nicht verfügte. Dass sie sich dessen ungeachtet auf die Behandlung eingelassen hatte, müsse sie sich nach § 1299 ABGB zurechnen lassen. Das überwiegende Verschulden liege aber bei dem, der behaupte, die entsprechenden Fähigkeiten zu besitzen. Es bestünden daher keine Bedenken gegen die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung von 2:1 zu Lasten der Beklagten.
USA – FDA veröffentlicht Leitfaden für Medizinprodukte aus dem 3D-Drucker
Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) hat am 5. Dezember 2017 eine finale Fassung ihres Leitfadens zur Fertigung von Medizinprodukten mittels 3D-Drucker veröffentlicht (Technical Considerations for Additive Manufactured Devices; Hinweis auf den Entwurf vom 10. Mai 2016 in PHi 2016, S. 102; zu den Haftungsrisiken beim 3D-Druck allgemein: Kerpen, PHi 2015, S. 194 f.).
Der Leitfaden richtet sich sowohl an die Industrie als auch an die Mitarbeiter der FDA. Die darin enthaltenen Vorschläge sind zwar unverbindlich, es ist aber zu erwarten, dass die Gerichte sie als Maßstab für den Sorgfaltsstandard in der Medizinprodukteindustrie heranziehen werden.
Die FDA plant außerdem jeweils gesonderte Leitfäden für den 3D-Druck von Arzneimitteln und menschlichen Geweben. Von der FDA wurde bereits ein Arzneimittel gegen Krämpfe zugelassen, das im 3D-Druck hergestellt wird. Das Arzneimittel verfügt über eine porösere Struktur als das auf herkömmliche Weise hergestellte Medikament und wirkt schneller, da es sich im Mund schneller auflöst. In Zukunft ist auch denkbar, dass Patienten mit Brandwunden mit eigenen Hautzellen behandelt werden, die im 3D-Druck direkt auf ihre Brandwunden aufgebracht werden.
Der jetzt veröffentlichte finale Leitfaden bezieht sich auf Medizinprodukte. So fertigen Krankenhäuser und Universitäten beispielsweise im 3D-Druck Zahnimplantate und künstliche Kniegelenke sowie Herzklappen und Knochenimplantate für klinische Studien. Des Weiteren behandelt laut FDA bereits eine steigende Zahl von Chirurgen Säuglinge mit lebensbedrohlichen Atemwegserkrankungen mit maßgeschneiderten Splints, die in deren winzige Atemwege eingepflanzt werden und sich während des Heranwachsens der Patienten ausdehnen und abbauen.
Die FDA weist in ihrem 28-seitigen Leitfaden auf Aspekte hin, die bei der Konstruktion und Fertigung von Medizinprodukten mittels 3D-Drucks berücksichtigt werden sollten. Außerdem führt sie auf, welche Informationen bezüglich der durchgeführten Produkttests der FDA für die Zulassung solcher Medizinprodukte zur Verfügung gestellt werden sollten.
Bei der Fertigung von für den jeweiligen Patienten individualisierten Medizinprodukten sollte bspw. berücksichtigt werden, dass eine schlechte Qualität bildgebender Verfahren (z. B. schlechte Auflösung) die spätere Passform des Produkts beeinträchtigen kann. Fehler könnten auch bei der Konvertierung von Dateien geschehen, bspw. bei der Konvertierung eines Bildes aus einem Computertomografen in ein Dateiformat, das mit einem Bildbearbeitungsprogramm geöffnet und bearbeitet werden kann, sowie bei der sich daran anschließenden Konvertierung in ein Dateiformat für den 3D-Druck. Zudem müsse auf IT-Sicherheit und Schutz der Patientendaten geachtet werden. Auch die Bioverträglichkeit des für das eigentliche Produkt verwendeten Materials sollte evaluiert werden.
Die FDA empfiehlt zudem, die endgültigen Druckvorlagen für das jeweilige Medizinprodukt in einem robusten standardisierten Dateiformat (z. B. das Additive Manufacturing Format - AMF) zu speichern, das Informationen zum verwendeten Material und der Platzierung im Druckgerät enthält und über eine hohe geometrische Genauigkeit (z. B. in Form von Paraboloiden) verfügt.
Berücksichtigt werden müsse auch, dass sich Umwelteinflüsse am Aufstellungsort des Druckgeräts auf die Qualität der Endprodukte auswirken und dass die physikalische oder chemische Entfernung von etwaigem Trägermaterial nach dem Druck Spuren oder Rückstände auf dem Produkt hinterlassen kann.
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